Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
Vom Netzwerk:
und Stiefel überziehn und wieder auf Fischfang gehn. Auf die nördliche Art, wie die Eskimos. Wenn das Eis nicht von selbst schmelzen will, muß man es mit Gewalt zerschlagen. Er wird es mit der Spitzhacke einschlagen und unter dem Eis fischen. Der Heizer Mazura sagte, er wolle morgen auf Jagd: In den Weiden und dem gefrorenen Schilf am anderen Ufer des Stroms sind große Rudel Wildschweine und anderes Wild aufgetaucht. Fleisch ist teuer und rar geworden – und wenn man Glück hat, könnten alle davon einen Nutzen haben.
    Die Frauen hoben die Köpfe, dann setzten sie ihr Gespräch fort: von den Männern und den Kindern. Und nebenbei fragten sie sich gegenseitig ein bißchen aus, wieviel Lebensmittel sie im Haus und wieviel Heizung sie im, Keller hatten. Sie fragten sich, ob das wohl reichen werde bis zum Ende der Eiszeit, und sie fanden keine Antwort.
     
    Am Abend saß man wieder bei Krekićs in der Bibliothek des Hausherrn beisammen. Es war nur weniger angenehm und weniger warm. In den Festern liegen dicke Kissen, und die Festerrahmen sind mit Papierstreifen verklebt – nach russischer Sitte. Anwesend sind die gleichen geladenen Gäste, nur daß man diesmal auf den Generaldirektor Plećasch nicht warten mußte. Er kam pünktlich, obwohl er keinen Wagen zur Verfügung hatte. Dafür mußte man auf den Generaldirektor der Direktion für staatliche Reserven warten, der mit dem Schlitten ankam.
    Zu trinken gab es diesmal warmen Tee und zur Unterhaltung ein kaltes Gespräch über das Wetter. Nur über das Wetter, sofort über das Wetter, ohne Ziererei und ohne Einleitung. „Also“, sagte jemand, „das sind wir: mitten in der Eiszeit. Bei Gott, eine feine Sache, nichts zu wollen.“
    „Nicht mitten drin“, verbesserte Krekić, „erst am Anfang. Die wirkliche Eiszeit soll erst noch kommen.“
    „Um Himmels willen!“ schrie Dara auf. „Lassen Sie das! Es ist auch jetzt schon nicht mehr auszuhalten.“ Sie saß diesmal auf dem Sofa, auf dem Fußboden war es ihr zu kalt, sie hatte die Beine untergeschlagen, denn auch in dem geheizten Raum zog es von irgendwoher. „Erlauben Sie, daß ich mich an Sie anlehne“, sagte sie zu dem neuen Direktor. „Mir ist kalt, und Sie als einziger haben noch Feuerreserven, nicht wahr?“
    Frau Krekić flüsterte mit Direktor Plećasch. „Schauen Sie, wie wir leben!“ beklagte sie sich. „Wie Abgebrannte. Aber nein, wo kämen bei dieser Kälte Abgebrannte her. Ich wollte sagen: wie Flüchtlinge, wie Emigranten. Zusammengepfercht in drei Zimmern, nachdem wir die anderen aus Ersparnisgründen haben aufgeben müssen. Könnten Sie nicht doch noch etwas für uns tun? Schließlich dürfte auch der Staat nicht so gleichgültig zusehen, wie seine Bürger darben. Leicht haben die’s, die an Kälte und Mangel gewöhnt sind; sie sind widerstandsfähiger, und auch die Arbeit hilft ihnen, sich zu erwärmen. Gegenüber wohnt eine Eisenbahnerfamilie – die ziehen sich morgens, bei dieser Kälte, bis zum Gürtel nackt aus und reiben sich mit Schnee ab, wie Eskimos. Wir aber, wir Geistesarbeiter, wir sitzen da und verbrauchen die eigenen Kalorien. Für andere.“
    Der Genosse Generaldirektor nickte, aber als er endlich zu Wort kam, mußte er gestehen, daß er nichts mehr tun könne. „Leider“, sagte er. „ Ich kann Ihnen nicht mehr helfen.“ Und erst als er das Wörtchen ,ich’ zum drittenmal wiederholte, schien Frau Krekić endlich zu begreifen. Überrascht schaute sie ihn an und irgendwie kalt.
    „Und warum nicht Sie?“, fragte sie herausfordernd, fast grob. „Und warum nicht gerade Sie?“ wiederholte sie, obwohl sie schon alles begriffen hatte.
    Stotternd gestand er: „Weil das nicht in mein Ressort fällt.“
    „Nicht? Und warum nicht?“
    „Weil ich kein Ressort mehr habe. Es wurde aufgelöst. Im Zusammenhang mit der Eiszeit. Auch die Generaldirektion für allgemeinen Verkehr wurde aufgelöst. Ohnehin gibt es schon seit Monaten keinen anständigen Handel und Wandel und keinen richtigen Verkehr mehr.“
    „Und warum haben Sie mir das nicht früher gesagt?“
    „Entschuldigen Sie, ich kam nicht dazu. Auch mir wurde es erst heute morgen mitgeteilt.“
    „Gut – aber wer macht die Liquidation? Zum Beispiel die Liquidation der Ölvorräte?“
    „Die sind von der staatlichen Reserve übernommen worden“, sagte er und schaute mit Neid zu seinen glücklicheren Kollegen auf dem Sofa gegenüber. „Mir ist noch keine neue Stellung zugewiesen worden. Glauben Sie mir, ich friere

Weitere Kostenlose Bücher