Eis
doch wenigstens erträglicher werden. Wenn nichts anderes, hätten wir uns wenigstens seelisch besser vorbereitet. Wir hätten mehr Heizmaterial und Nahrung zusammengetragen und wärmere Kleidung genäht, und wenn das alles uns nicht geholfen hätte, wären wir in wärmere, in tropische Gegenden ausgewandert. Und so weiter. Es war offenkundig, daß der Journalist in seinen Artikeln die ganze Sache etwas aufblies – und so nebenbei einige seiner Rechnungen mit den Meteorologen beglich, vielleicht sogar mit Direktor Liebling selbst. Und tatsächlich, die erste Aufregung unter den Lesern war so groß, daß Liebling sich persönlich genötigt sah, eine Mitteilung zu veröffentlichen, in der die Angaben des ambitionierten Zeitungsmannes widerlegt und dieser selbst verurteilt und demaskiert wurde.
„Wie aus dem zitierten Text zu ersehen ist“, schrieb Liebling, „sind Eiszeiten in der fernen Vergangenheit der Erde allmählich aufgetreten. Fast unmerklich wurden die Sommer immer kürzer und immer weniger heiß – aber die Bürger werden sich erinnern, daß es noch im vorigen August in Belgrad derart warm war, daß in einzelnen Stadtteilen sogar das Trinkwasser versiegte. Demnach hat es keine Anzeichen gegeben, die den Meteorologen die Heraufkunft einer Eiszeit hätten voraussagen können. Der plötzliche, unvorhergesehene und unvorhersehbare Temperatursturz hat ohne Zweifel irgendwelche unbekannten und noch nicht festgestellten Ursachen, nach denen unsere Wetterkunde noch sucht. Die Behauptungen des Journalisten M. N. völlig unbegründet und im Kern böswillig, lassen sich auf den Versuch reduzieren, unter den Bürgern Unruhe und Mißtrauen gegenüber der Meteorologie auszulösen. Im übrigen sind in seinem Haus große Vorräte an Kohle und Holz, mehrere elektrische Heizkörper, Kochplatten, Öfen, Boiler, Bügeleisen und so weiter entdeckt worden, was alles zeigt, daß dieser angebliche Volksfreund das Buch, auf das er sich beruft, schon viel früher aufgespürt und es, statt der Öffentlichkeit den Inhalt sofort mitzuteilen, sorgsam vor aller Welt versteckt gehalten und sich selbst nach Spekulantenart für eine lange Winterperiode eingedeckt hat.“
Und dennoch – bei aller Oberzeugungskraft dieser Mitteilung suchten die gebildeteren Menschen doch in Bibliotheken nach dem erwähnten Buch unseres Forschers; und sie fanden auch eine Reihe anderer Bücher, in denen sie sich mit den verschiedenen Theorien über die Entstehung von Eiszeiten bekannt machen konnten, die auftreten infolge von: ‚verringerter Sonnenbestrahlung der Erdoberfläche, periodischer Abweichungen der Erdachse und der Erdumkreisungen um die Sonne’; ‚stufenweiser Verschiebung der Erdpole und ihres auf Magma schwimmenden festen Mantels’, ‚Richtungsänderungen der warmen Meeresströmungen als Folge von Eisschmelzen an den Polen und Erhöhungen des Meeresspiegels’; ‚Einwirkungen der Sonnenflecke auf das klimatische Geschehen der Erde’ – und so fort. Und unter diesen Erläuterungen fanden sich auch folgende Zeilen:
„Jahrhunderte verstrichen – die Kälte griff um sich. Das Vieh verließ die gefrorenen Weiden, suchte wärmere Gegenden auf oder paßte sich den neuen Verhältnissen an. Der Mensch zog sich in Höhlen zurück und hinterließ uns dort Dokumente aus dieser Epoche, indem er Abbildungen des Mammut und anderer Eiszeitlebewesen an die Wände seiner Unterschlüpfe zeichnete.
Schnee und Eis wischten auf ihrem Vormarsch alles Wachstum weg, das sich ihnen in den Weg stellte, und begruben es unter sich, und wenn eine solche Zeit sich wiederholen sollte, kann man sich denken, welche Verwüstung das Eis zurücklassen würde, wenn es erst einmal alle nördlichen und auch einige südliche Teile Europas erfaßt und unsere größten und schönsten Städte zerstört hätte …“
Die gewöhnlichen Leute – einfacher, aber zahlreicher – kapierten diese komplizierten wissenschaftlichen Erläuterungen nicht, und in ihrer Unwissenheit, dem Schicksal und allem Geschehen ergeben, fürchteten sie sich weniger. Sie fanden einfache, manchmal auch abergläubische, jedenfalls aber unwissenschaftliche Erklärungen für ihre Nöte, und auf ihre Weise versuchten sie, sich anzupassen oder zu kämpfen. Leise, still und ohne Aufregung.
„Aber es versteht sich doch!“ sagten sie bei Ihren Zusammenkünften, in den Kaffeehäusern beim Ofen, in den Wäschereien, Bäckereien und an ähnlichen warmen Punkten: „Zu lang ist es still und friedlich
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