Eis
– nichts! Obgleich unsere Dalmatiner berühmte Seefahrer sind, war nicht einer von ihnen imstande, für uns irgendeine Kolonie zu entdecken oder zu erobern, und wenn sie sich auf Entdeckungsfahrten aufmachten, suchten sie sich ausgerechnet den Nordpol, Spitzbergen oder Franz-Joseph-Land aus. Was bleibt uns da übrig, als uns selbst zurechtzufinden, wie wir eben können. Eisige Zeiten – eisige Gesetze. Jeder mit sich und jeder für sich.“
Und tatsächlich, alle diese sogenannten außergewöhnlichen Maßnahmen brachten keinerlei positive Resultate. Das kalte Wetter, Schnee, Frost und Eis setzten ihr Treiben fort. Ein einziger Windstoß nur, und alle Straßensperren, Mauern, Gräben und Drahtverhaue an den Grenzen blieben zugeweht zurück, und um nichts besser erging es allen technischen und wissenschaftlichen Hilfsmitteln. Und so erwarteten jetzt, übrigens vergeblich, diejenigen von der modernen Wissenschaft und Technik Hilfe, die sie früher stets für eine Reihe von Übelständen verantwortlich gemacht hatten – für die Mechanisierung und Automation, für Uniformierung des Denkens und Konformität der Haltung –, und die anderen, die Technik und Wissenschaft für das Charakteristikum des Jahrhunderts und der modernen Zeiten gehalten hatten, fingen sie jetzt zu verwünschen und für alles Übel verantwortlich zu machen an, bestrebt, sich selbst auf die gewöhnlichste und einfachste Weise zu helfen – wie jene Kranken, die jahrelang die berühmtesten Ärzte aufgesucht und die neuesten und teuersten Medikamente gekauft hatten, um schließlich, in ihrer Verzweiflung, zu den einfachsten Altweiberarzneien Zuflucht zu nehmen.
Eine kleinere Anzahl Menschen, die Vermögenderen und Besserversorgten, verließen sich noch auf sich selbst, auf ihr Vermögen, ihre Häuser, ihre erweiterten und gutgefüllten Keller – im Glauben, das werde ihnen, wie bei ähnlichen Gelegenheiten zur Zeit der Kriege und Revolutionen, schon irgendwie über diese qualvolle Eisperiode hinweghelfen; auf jeden Fall besser als den anderen. Die anderen, die Zahlreichen, die sich nicht auf sich und ihr Vermögen verlassen konnten, taten, was sie konnten: sie scharten sich zusammen wie eine Herde, die sich durch das Zusammenscharen gegen den Feind und gegen die Kälte verteidigt. Angewiesen einer auf den anderen, fingen auch diejenigen sich gegenseitig zu suchen und zu finden an, die sich früher nicht gekannt oder nicht gemocht hatten. Zuerst zufällig, in den „Drei grünen Blättern“ oder im „Dorcol“, danach absichtlich – in geheizten Wohnungen. Neue Gemeinschaften begannen sich so zu bilden: mehrere Familien, ein ganzes Haus, ganze Wohnblocks schlossen sich zusammen, abwechselnd brachte man was zu heizen mit, wärmte sich tagsüber gemeinsam und schlief nachts, jeder in seiner Wohnung, in gefütterten Schlafsäcken. Auch das war eine Art zu überleben.
So war es Mitte Juli, und einen Monat später, am fünfzehnten August, dem laut Statistik früher heißesten Tag des Jahres, lautete der Wetterbericht so: „Der Himmel klar, keine Niederschläge, durchschnittliche Schneehöhe ungefähr ein Meter, Temperatur tagsüber an der Sonne zwischen null und minus zwei, nachts bis zu minus fünfzehn Grad.“ Auch den am optimistischsten gestimmten Menschen war jetzt klar, daß der Sommer-Winter in den Herbst-Winter und den Winter-Winter übergehen würde, und sie fragten sich nur noch voll Angst, wie dann wohl erst der richtige, kalendermäßige Winter, der noch bevorstand, aussehen werde. Dabei sah schon das, was zur Zeit war, keineswegs angenehm aus.
Über ganz Skandinavien und Rußland lag der Schnee bis zu zwei Meter hoch, und in den Gebirgsgegenden erreichte er auch zehn Meter. Alle nördlichen Meerbusen und die Ostsee waren zugefroren. Zwischen Leningrad, Helsinki, Stockholm und Kopenhagen wurde der Verkehr mit Schlitten abgewickelt, und auch die Nordsee, von Dänemark nach Großbritannien hin, war zum Teil schon vereist, und der Tag war nicht fern, da das bisher isolierte Britannien auch ohne Tunnel unter dem Ärmelkanal mit dem Festland verbunden sein würde. Die Gletscher in den Bergen Nordskandinaviens begannen sich zu mästen, zu dehnen und zu recken, und es tauchten auch dort welche auf, wo es früher keine gegeben hatte. Wer auch nur flüchtig in irgendeiner Geschichte früherer Eiszeiten blätterte, konnte leicht feststellen, was von alledem noch zu erwarten war. Genauer gesagt: was wir selbst von alledem noch zu erwarten
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