Eis
rotwangiger und kräftiger Kerl, in einen Pelz gekleidet, eine Ledermütze auf dem Kopf, die er auch im Zimmer nicht abnahm. Seine Kleidung machte dadurch, daß sie neu war, und durch ihren Schnitt den Eindruck einer Uniform und verlieh demjenigen, der sie trug, den Anschein einer Wichtigkeit, die sich allen aufdrängte und den gesamten Raum um ihn her erfüllte. Er sprach wohlbegründet, überzeugend, aber kühl und gemessen, wie es sich für Amtspersonen auch gehört, die Annäherungen und familiäre Töne nicht dulden – denn, wie bekannt, achten wir das uns Nahestehende nicht, weil wir uns davor nicht genügend fürchten. Verächtlich schaute er um sich, mit sichtlichem Abscheu. Man sah, daß die verbrauchte Luft in diesem Loch von einem Zimmer ihn störte und er den Wunsch hatte, so schnell wie möglich wieder hinauszukommen, ohne sich durch die Berührung mit irgendwas oder irgendwem Zu beschmutzen oder zu infizieren.
„Da – Sie vegetieren in diesem verkommenen Zimmer dahin, das auch vor der Eiszeit nicht angenehm sein konnte, und jetzt ist es schon längst vor Feuchtigkeit und Moder vereist. Ihr Fenster sah auf fremde Beine und die schmutzigen Schuhe der Passanten hinaus, und nun hat der Schnee Ihnen auch diese kleine Öffnung zugeweht. Soviel ich sehe, haben Sie Ihre Möbel längst verheizt, aber ich glaube nicht einmal, daß Sie Gott weiß was hatten.“
Der Mann, an den er sich wandte, der Genosse Tomić, Sachbearbeiter für Statistik bei den Staatlichen Reserven, stand vor ihm wie ein Angeklagter, der bei der Vernehmung alles gestanden hatte und jetzt nur noch auf Gnade hoffen konnte. Die Arme hingen ihm an seinem abgewetzten dünnen Mantel herab, der Kopf lag halb auf der Brust.
„Heizungsvorräte haben Sie keine, nicht einmal Lebensmittelvorräte anzuschaffen waren Sie imstande, obgleich Sie bei den Staatlichen Reserven gearbeitet haben, und auch einen Laden hatten Sie hier, direkt vor der Nase. Was haben Sie im Dienst erreicht? Nichts! Oder, wie man das mit anderen Worten sagt: die Stellung eines Sachbearbeiters der fünften Gehaltsgruppe. Und wo wollen Sie jetzt eine Anstellung finden, wenn auch Ihre Direktion aufgelöst wird? Was und wem sind Sie noch nütze? Wenn es Ihnen wenigstens gelungen war, in den Wetterdienst umzusteigen oder zu uns, ins Agitations-– und Propagandafach. Aber auch dazu waren Sie nicht imstande. Und nun, wie alt sind Sie? Fünfzig? Auch das ist nicht wenig, aber Sie, Brüderchen, sehen aus wie ein Sechzigjähriger. Verlebt, verbraucht. Und was können Sie jetzt vom Leben noch erwarten? Auf was hoffen Sie? Wem können Sie noch nützlich sein? Nein, wirklich, mein Lieber, ich kann wirklich nicht verstehn, was Sie noch gegen den Tod haben könnten. Er erwartet Sie sowieso bald – nur unter den jammervollsten Umständen. Kälte, Hunger, Entbehrungen, Krankheit und Schmerzen, Erniedrigung und das Gefühl, überflüssig und unnütz zu sein –: Lohnt es sich, dafür zu leben? Können Sie noch irgendwas Wichtiges leisten im Leben? Nichts. Im Leben nichts –, aber wenn Sie auf mich hören, könnten Sie immerhin noch etwas im Tod leisten. Also, soll ich Sie notieren? Ich hab nur noch ein paar Plätze frei in der ersten Partie.“
„Nun“, stotterte Genosse Tomić, „wissen Sie, ich sehe genau, daß Sie recht haben. Nur – ich hab noch nicht drüber nachgedacht. Ich bin nicht genügend vorbereitet. Ich müßte mich mit meiner Frau beraten. Leider, wie Sie sehen, ist sie grad jetzt weggegangen, wo sie dasein müßte.“
„Das macht gar nichts! Ich kann Sie vornotieren und auch für Ihre Frau einen Platz freilassen. Gleich neben Ihnen, damit ihr zwei mindestens für die nächsten paar tausend Jahre beisammen bleibt. Wissen Sie, es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang unter großen Anstrengungen und Mühen danach streben, berühmt zu werden, ihren Namen in das Buch der Ewigkeit einzutragen – während Ihnen durch diese Sache da Gelegenheit geboten ist, das gleiche in fünf Minuten zu erreichen, und das auch noch, nachdem Sie Ihr Leben schon verwischt und alle Hoffnung verloren haben. Begreifen Sie – Sie werden als einer der ersten zehntausend Freiwilligen für immer in die Geschichte eingehen, genau wie die vierzigtausend christlichen Märtyrer in den Kalendern. Und alles das unter höchsten Ehren! Von hier abgeholt im schönsten zehnspännigen Hundeschlitten, fein gekämmt, rasiert, parfümiert, gekleidet nach der letzten voreiszeitlichen Mode, mit Blumen
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