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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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geschmückt, geziert mit einigen der höchsten Orden, Ihnen eigens aus diesem Anlaß verliehen – und dann, bei zahlreichen Ansprachen, Musik und anderen Ehrungen, feierlich vereist im klarsten Wasser, wie Sie Ihr ganzes Leben lang aus der Belgrader Wasserleitung nie eins getrunken haben.
    Das Eis um Sie her wird zweimal im Monat gesäubert werden, so daß sichergestellt ist, daß Sie alles, was draußen geschieht, werden beobachten können – in Wirklichkeit viel besser als durch Ihr jetziges zugefrorenes Kellerfenster.
    So also – das sind die Vorteile, die ich Ihnen biete; zu schweigen davon, daß Ihnen vor allem Ihr bürgerliches Bewußtsein auftragen müßte, meinen Rat zu befolgen. Sie sehen doch selbst, daß wir zu viele sind. Daß wir ersticken – wie in einem zu engen Zimmer. Also weshalb treten Sie dann nicht aus, wenn Sie selbst genau sehen, daß Sie im Wege sind? Jeder auch nur einigermaßen erzogene und einsichtige Bürger würde das an Ihrer Stelle tun – Sie aber waren sogar Funktionär in mehreren gesellschaftlichen Organisationen, so daß Sie auf einer höheren Stufe des gesellschaftlichen Bewußtseins stehen und ein höher entwickeltes Verantwortungsbewußtsein haben müßten. Tut Ihnen denn die übrige Welt nicht leid, die Ihretwegen in dieser menschlichen Bedrängnis erstickt? Wo bleibt da, um Himmels willen, diese Ihre so oft hervorgekehrte Humanität? Zu schweigen davon, daß Sie mit Ihrer Einwilligung auch mir persönlich einen Weinen Dienst erweisen würden –, der Sie in Wirklichkeit nichts kostet. Ich habe, damit Sie’s wissen, bereits so viele freiwillige Abonnenten beisammen, daß ich mit Ihnen als letztem für die vorgeschriebene Zahl die Norm erfüllen und eine Spezialprämie erhalten und befördert werden würde. Darum hoffe ich also zu Recht, daß Sie mir weder meine Bitte abschlagen noch das Herz haben werden, mir eine solche Bosheit anzutun, wo ich Sie doch schön bitte. Was würden Sie im übrigen erst tun, wenn ich irgendeine größere Gefälligkeit von Ihnen haben wollte? Also, haben wir uns verstanden? Bitte, unterschreiben Sie!“
    „Ja, ja, auf jeden Fall!“ stotterte der unglückselige Beamte. „Ich werde es unbedingt tun. Nur muß ich zuerst noch im Büro meine Arbeit liquidieren. Ich hab noch nicht alle Akten erledigt, und was würden nachher meine Vorgesetzten von mir denken, wenn sie, Gott bewahre, feststellen müßten, ich hab nicht alles gemacht, wie ich sollte.“ Er warf die Arme auf den Rücken und verschränkte die Finger zu einem Knoten, damit sie nicht von selbst zum Papier wandern und es unterschreiben.
    „In Ordnung!“ sagte zornig und beleidigt der Agitator. „Wie immer Sie wollen! Passen Sie nur auf, daß Sie in diesem Fall nicht ohne Platz bleiben. Ich warte höchstens drei Tage auf Sie. Aber vergessen Sie nicht, daß Sie als Angestellter einer Direktion, die sich in Auflösung befindet, nicht in die geschützten und der Menschheit unerläßlichen Kategorien fallen, so daß Sie also als Überzähliger, Unnötiger und Überflüssiger sowieso bald unters Eis müssen. Im Sinne des Gesetzes werden Sie sicher als einer der ersten vorgeladen werden. Das garantiere auch ich Ihnen. Vielleicht schon in acht Tagen – aber vielleicht wird auch schon heute nachmittag in irgendeinem zuständigen Büro Ihr Name auf die Liste der Vorzuladenden gesetzt werden.“
    Und er ging. Plötzlich und ohne Gruß.
    Und kaum war dem unglücklichen Beamten des anderen Amtsmütze aus dem Blickfeld verschwunden, raffte er sich auf und faßte soviel Mut, daß er hinter jenem her zur Tür flog, um ihm nachzurufen: Verzeihen Sie, verzeihen Sie – so einfach geht das nun doch nicht, auch wir verstehn etwas davon, nicht umsonst haben wir dreißig Jahre und mehr Dienst gemacht: Erst in zehn Tagen, wenn die Verordnung in Kraft getreten ist!
    Es auszusprechen, hatte er aber schon wieder nicht den Mut. Er kehrte um, zog den Kopf zwischen die Schultern und begann auf und ab zu spazieren. Und er wollte denken: Warum grad ich? Warum verlangen sie grad von mir dieses Opfer? Bin ausgerechnet ich als einer der ersten überzählig und überflüssig geworden? Und ist das meine Schuld? Haben sie ein solches Angebot, zum Beispiel, auch den Herrschaften Krekić von gegenüber gemacht? Oder zählen die zu den geschützten Kategorien, zu den Unentbehrlichen für die weitere Entwicklung der Menschheit? Auch er arbeitet nichts, soviel ich weiß und seit ich ihn kenne. Oder der Genosse Plećasch –

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