Eischrysanthemen
jeder Tat, die er als Gegengabe quittierte, versuchte er Vincent lediglich zu entmutigen und zum Aufgeben zu bewegen, und nun stellte sich die Frage, warum nicht einfach aufgeben? Wozu noch weiter gehen, wenn Vincent es tief in seinem Herzen nicht wollte? Kein Job der Welt war so etwas wert. Mit dem Entschluss am nächsten Tag die Angelegenheit abzubrechen, schlief Vincent endlich neben Gabriel ein.
Dem nächsten Morgen haftete eine gewisse Peinlichkeit an, die Vincent trotz intensivster Bemühungen nicht überwinden konnte. So einfach ging es eben nicht an ihm vorüber, dass er mit seinem besten Freund geschlafen hatte. Gabriel dagegen verhielt sich wie immer und hatte für sie beide sogar Frühstück gemacht. Das war nicht ungewöhnlich, denn manchmal, wenn sie um die Häuser zogen und Vincent es nicht mehr nach Hause schaffte, übernachtete er bei Gabriel und wurde dann ebenfalls zum Frühstück eingeladen. Dieses Mal war es jedoch ein wenig anders, was zu einem nicht unbeträchtlichen Teil daran lag, dass Vincents Hintern schmerzte. Zwar bemühte er sich darum so ruhig wie möglich zu sitzen, aber Gabriel musste etwas von seiner Unbequemlichkeit bemerkt haben, da er aufstand und kurz darauf mit einer Wund- und Heilsalbe zurückkam. Zur inneren Anwendung geeignet, stand auf der Tube.
„Danke“, murmelte er verlegen und steckte die Tube weg, bevor er nach seinem Tee griff und einen vorsichtigen Schluck nahm.
„Vincent, was ist eigentlich genau passiert?“ Gabriels Frage war nicht aufdringlich, schon fast nebenbei gestellt, aber sie genügte, um Vincents Unwohlsein wieder heraufzubeschwören. Ihm wollte keine Antwort einfallen und so sah er hilflos zu Gabriel hoch, der sich an die Fensterbank gelehnt hatte. Obwohl Gabriel derjenige wäre, dem Vincent alles am ehesten hätte erzählen können, konnte er es einfach nicht über die Lippen bringen. Vielleicht war es nicht einmal mehr die Verlegenheit, die ihn so fest im Griff hatte, sondern die Tatsache, dass er Gabriel Ratschläge im Bezug auf seine aufkeimende Beziehung gab und dafür selbst in einer Bredouille saß, in welche er mit vollem Anlauf gesprungen war. Er konnte Gabriel einfach nicht sagen, auf was für ein Spiel er sich eingelassen hatte.
„Ich erzähle es dir ein anderes Mal, okay?“ Unfähig mit der Wahrheit herauszurücken, flüchtete sich Vincent in diese Ausrede. Ewig würde er die Sache nämlich nicht verheimlichen können, nur jetzt ging es auf jeden Fall nicht. Gabriel fragte taktvollerweise nicht nach.
„Langsam müsste ich ohnehin los. Es wartet noch eine ganze Menge Arbeit auf mich.“ Kira wartet auf mich, dachte Vincent, aber das würde er nicht laut erwähnen. So fiel der Abschied zwischen den beiden Freunden eher flüchtig, als wie sonst, herzlich aus. Der Weg nach Hause war ein Graus, und Vincent war dankbar, als er endlich angekommen war und ins Badezimmer flüchten konnte, um die Salbe ihre Wirkung tun zu lassen. Es war eine Wohltat und erlaubte ihm wieder schmerzfrei zu sitzen. Das hatte Vincent nicht erwartet. Mit dem Verschwinden der Schmerzen begann Vincent allerdings wieder zu grübeln. Der Entschluss der letzten Nacht kam ihm abermals in den Sinn, und je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass er sich Kiras Wünschen nicht mehr beugen wollte. Für ein Interview so weit zu gehen, war einfach zu viel.
Unabhängig von dem festen Job stand jedoch die Bezahlung im Raum, die Vincent eigentlich schon verplant hatte. Miete und andere Kosten mussten schließlich bezahlt werden. Vincent seufzte, das würde eng werden. Sogar noch enger als in diesem Monat, und wenn sich erst einmal herumgesprochen hätte, dass er nicht einmal ein simples Interview abliefern konnte, dann würde sein Kühlschrank lange Zeit nur Butter und Marmelade zu sehen bekommen. Trotzdem, sich für ein Interview zu verkaufen, konnte kaum richtig sein – und es machte Vincent jetzt kaputt. Ihm war klar, dass da irgendwo eine echte Story war, die seiner Karriere gut getan hätte, aber wollte er dafür so weit gehen? Nein. Auf gar keinen Fall. Er wollte nicht wie Andrews werden, dem jedes reißerische Thema recht war. Es musste eine Grenze geben, wenn er sich noch im Spiegel in die Augen sehen wollte.
Eine Stunde zu früh befand sich Vincent bereits auf dem Weg zum Hotel. Er hatte nicht länger warten können, und einen großen Unterschied würde es auch nicht machen, wenn er Kira früher mit seiner Entscheidung konfrontierte. Seinen
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