Eisenhand
bloß über meine Familie geredet.«
»Ach, nein!« Ich ging im Geiste Helenas Stammbaum durch, so wie Titus es wohl vor mir getan hatte: Generationen von Senatoren (was er von sich nicht behaupten konnte – mit seinen sabinischen Vorfahren, Pächtern aus dem Mittelstand); ihr Vater ein getreuer Anhänger Vespasians; ihre Mutter eine Frau von untadeligem Ruf. Ihre Brüder beide im diplomatischen Dienst und mindestens einer davon sicherer Anwärter auf einen Senatssitz. Jedermann hatte mir versichert, daß in den edlen Älianus große Erwartungen gesetzt würden. Und Justinus, den ich persönlich kannte, machte einen guten Eindruck.
»Titus schien die Unterhaltung ja großen Spaß zu machen. Hat er auch über dich gesprochen?« Helena Justina: lebhaftes Temperament; attraktiv auf eine extravagante, unmoderne Art; keine Skandale (mich ausgenommen). Sie war schon einmal verheiratet gewesen, aber einverständlich geschieden worden; außerdem lebte der Mann inzwischen nicht mehr. Titus hatte selbst zwei Ehen hinter sich – einmal verwitwet und einmal geschieden. Ich war immer noch Junggeselle und trotzdem nicht mehr so naiv wie die beiden.
»Er ist ein Mann – er hat von sich gesprochen«, spottete sie. Ich brummelte. Sie war eine junge Frau, mit der die Leute sich gern unterhielten. Ich auch. Sie war der einzige Mensch, mit dem ich so ziemlich über alles reden konnte, woraus ich ein Vorrecht auf sie ableitete.
»Weißt du, daß er die Königin Berenike von Judäa liebt?«
Helena lächelte kühl. »Dann hat er mein Mitgefühl!« Das Lächeln war nicht besonders nett und kaum für mich gedacht. Im nächsten Moment setzte sie freundlicher hinzu: »Was macht dir eigentlich Sorgen?«
»Nichts«, sagte ich.
Titus Cäsar würde Berenike niemals heiraten, denn mit der Judenkönigin verband sich eine abenteuerlich exotische Geschichte. Und Rom würde niemals eine fremdländische Kaiserin akzeptieren – oder einen Kaiser dulden, der den Versuch machte, eine solche zu importieren.
Titus war zwar romantisch, aber er war auch Realist. Berenike war er angeblich ernsthaft zugetan, doch einen Mann in seiner Stellung hinderte das nicht, trotzdem eine andere zu heiraten. Er war immerhin der Erbe des Römischen Reiches. Sein Bruder Domitian besaß zwar auch einige der Familientalente, aber eben längst nicht alle. Titus hatte eine Tochter gezeugt, doch noch keinen Sohn. Da sich der Anspruch der Flavier auf den Purpur hauptsächlich auf das Versprechen gründete, dem Reich Stabilität zu garantieren, würde das Volk vermutlich erwarten, daß Titus sich ernsthaft nach einer salonfähigen römischen Gemahlin umsah. Und sehr viele Frauen, salonfähige und auch andere, hofften gewiß schon sehnsüchtig darauf.
Was sollte ich also davon halten, wenn ich diesen hochgestellten Kerl im Gespräch mit meinem Mädchen überraschte? Helena Justina war eine rücksichtsvolle, anschmiegsame und liebenswürdige Gefährtin (wenn ihr der Sinn danach stand); sie besaß Verstand, Takt und ein hehres Pflichtgefühl. Wenn sie sich nicht in mich verliebt hätte, wäre Helena genau die Frau, die Titus brauchte.
»Marcus Didius, ich habe mich für ein Leben mit dir entschieden.«
»Wie kommst du plötzlich darauf?«
»Weil du aussiehst, als hättest du das vielleicht vergessen«, sagte Helena.
Selbst wenn sie mich morgen verlassen sollte, würde ich das niemals vergessen. Das hieß aber noch lange nicht, daß ich großes Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft setzte.
IV
Die nächste Woche war merkwürdig. Der Gedanke an die gräßliche Reise nach Germanien, die mir drohte, bedrückte mich. Sicher, es war ein Auftrag – den abzulehnen ich mir nicht leisten konnte –, aber ein Besuch bei den wilden Stämmen im europäischen Grenzland rangierte nun mal ganz oben auf meiner Liste von Vergnügungen, die ich tunlichst meiden wollte.
Dann suchte ich die Wohnung nach Indizien dafür ab, daß Titus wiedergekommen sei. Ich fand keine; aber Helena erwischte mich beim Schnüffeln, und das machte die Dinge nicht einfacher.
Meine Annonce auf dem Forum hatte zuerst einen Sklaven angelockt, der offensichtlich nie imstande sein würde, mich zu bezahlen. Außerdem suchte er nach seinem vor langer Zeit verschollenen Zwillingsbruder, was ein zweitklassiger Dramatiker vielleicht für ein gutes Forschungsthema halten mochte, mir aber als langweilige Plackerei erschien. Als nächstes meldeten sich zwei Beamte auf der Jagd nach einer lohnenden Mitgift; eine
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