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Eisenkinder

Eisenkinder

Titel: Eisenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Rennefanz
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Gesellschaft ankommt oder Außenseiter bleibt?
    Haben seine Eltern versucht, ihn herauszuholen? Marco K. antwortet ausweichend, sie haben versucht, sich mit anderen Eltern auszutauschen, aber sie kamen an ihren Sohn nicht heran. Die Muster kommen mir inzwischen bekannt vor. Ich weiß es aus eigenem Erleben, wie begrenzt der Einfluss der Eltern ist.
    Marco K. erzählt, einmal sei »ein Sozialarbeiter im Schlabberlook« vorbeigekommen und wollte mit ihnen reden. »Der hat unsere Meinungen in der Luft zerrissen, danach haben sich einige erst recht angespornt gefühlt, sich politisch zu engagieren und zu bilden.«
    Ich kann nicht einschätzen, wie authentisch oder ernsthaft Marco K. sich um einen Neuanfang bemüht hat. Er wirkt offen, reflektiert, doch bei aller Freundlichkeit spürt man ein Unbehagen.
    Ähnlich wie bei mir damals war es auch eine Begegnung, die sein Weltbild veränderte. Es geschah nicht von einem auf den anderen Tag, es war ein Prozess. Er freundete sich mit einem Mann aus einer Burschenschaft an, nicht unbedingt die Lieblinge der Linken, aber er lernte einen anderen, friedlicheren Patriotismus kennen. Sie saßen zusammen und hörten Volkslieder, »Ännchen von Tharau«. K. gefiel das. Die Glatzen kamen ihm auf einmal dumm und gewaltätig vor. Er änderte sein Leben, orientierte sich politisch und geistig neu, lernte neue Freunde kennen. Zu seinem Bruder, bis heute ein führender Neonazi, hat er keinen Kontakt mehr.
    Wenn man ihn länger nach seinem Ausstieg bohrt, wird er wütend. Er hat sich von den Nazis abgewandt, aber fühlt sich weiterhin wie ein Außenseiter. Ihn nervt das Misstrauen, das ihm entgegengebracht wird. Er habe als Freiberufler bereits mehrere Aufträge wegen seiner Vergangenheit verloren. Einem Scientology-Aussteiger würde geglaubt, ein Nazi-Aussteiger stünde sein Leben lang am Pranger. »Wenn ich gewusst hätte, wie viel Ärger mir das einbringt, wäre ich dabeigeblieben«, sagt er. Er klingt bitter.
    Er war 19, als er ausstieg. Obwohl seine aktive Neonazi-Zeit über zehn Jahre zurückliegt, hat Marco K. immer noch Angst vor unerwünschten Begegnungen. Als am Nebentisch im Café ein Tourist ein Foto machen will, versteckt K. sein Gesicht hinter einem Tuch. Er fühlt sich verfolgt, von wem genau, ist nicht so leicht zu sagen. Angst vor Racheakten alter Freunde? Oder der Antifa? Er kann es selbst nicht so genau sagen. Man kann ihm nur mailen, seine Handynummer hält er geheim.
    Ich stehe vor dem Block, in dem Uwe Böhnhardt aufgewachsen ist. Die Eltern bekamen in den siebziger Jahren im Viertel Lobeda eine der begehrten neuen Wohnungen zugeteilt. Sie leben noch heute dort. Ich stehe vor dem Klingelschild und suche nach dem Namen Böhnhardt. Neben mir ein Kollege, der die Böhnhardts schon kennt.
    Brigitte Böhnhardt ist erst irritiert, empfängt mich dann aber herzlich und legt schnell ein weiteres Gedeck auf den Kaffeetisch. Nur einmal lässt sie sich anmerken, wie viel Kraft solche Gespräche sie kosten: »Na, wollten Sie sich mal die Nazi-Monster-Eltern angucken?«
    Wir unterhalten uns über die neunziger Jahre. Ich erzähle meine Geschichte, wie ich ähnlich wie ihr Sohn in den neunziger Jahren abgedriftet bin. Es ist eine schwierige, eine unmögliche Situation. Wie spricht man mit einer Mutter, deren Sohn mutmaßlich zehn Menschen ermordet hat und sich am Ende selbst tötete?
    Ich will mich nicht mit Uwe Böhnhardt vergleichen. Ich kann mich nicht mit Uwe Böhnhardt vergleichen. In dem Jahr, in dem er sich mit seinen Freunden in Chemnitz versteckte und in den Untergrund ging, begann ich meinen ersten Job. Als sie im Untergrund lebten und Videos anfertigten, in denen sie ihre Mordtaten rühmten, lernte ich in England einen anderen Umgang mit Fremden als in Deutschland. In England ist es normal, dass es Polizistinnen gibt, die das traditionelle muslimische Kopftuch tragen oder Lehrer mit Turban. Das Leben von Böhnhardt und seinen Freunden nahm einen völlig anderen Verlauf.
    Wir suchen nach Gemeinsamkeiten und kommen auf die Anarchie, die damals an den Schulen herrschte, als Lehrerin hat Böhnhardt alles hautnah miterlebt. »Im Grunde waren damals alle Eltern froh, wenn sie ihre Kinder durch diese schwierige Zeit gebracht haben und aus ihnen anständige Menschen geworden sind«, sagt Brigitte Böhnhardt.
    Die Geschichte von Uwe Böhnhardt ist komplizierter, als die oberflächlichen Details über sein Leben glauben machten: kleinkriminell mit 13, im Gefängnis mit 15,

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