Eisfieber - Roman
gewesen sein konnte, lag an der »Zwei-Personen-Regel«: Wegen des hohen Risikos war es niemandem gestattet, allein im BSL - 4 zu arbeiten.
McAlpine überprüfte die Liste. »Dr. Ansari.«
»Den kenne ich nicht, glaube ich.«
»Die. Es ist eine Frau. Dr. Monica Ansari, eine Biochemikerin.«
Toni griff zum Telefon. »Nummer?«
Monica Ansari sprach schottischen, genauer gesagt Edinburgher Dialekt und klang, als habe man sie aus dem Tiefschlaf geweckt. »Howard McAlpine hat mich vorhin schon angerufen«, sagte sie.
»Tut mir Leid, dass ich Sie noch einmal behelligen muss.«
»Ist was passiert?«
»Es geht um Michael Ross. Wir können ihn nicht erreichen und wissen nicht, wo er steckt. Wenn ich richtig informiert bin, waren Sie am Sonntag vor drei Wochen mit ihm im BSL - 4 .«
»Ja, das stimmt … Augenblick, ich muss erst mal Licht machen …« Nach kurzer Pause fuhr sie fort: »Drei Wochen ist das schon her?«
»Michael ist am nächsten Tag in Urlaub gefahren«, fügte Toni in drängendem Ton hinzu.
»Er wollte zu seiner Mutter in Devon. Hat er mir jedenfalls erzählt.«
Plötzlich fiel es ihr ein: Toni erinnerte sich, warum sie Michael damals in seinem Haus besucht hatte. Vor etwa einem halben Jahr hatten sie sich in der Kantine unterhalten, und Toni hatte dabei zufällig erwähnt, wie sehr ihr Rembrandts Bildnisse von alten Frauen gefielen, all die mit großer Liebe und Sorgfalt gemalten Runzeln und Falten. »Daran lässt sich ersehen, wie sehr Rembrandt seine Mutter geliebt haben muss«, hatte sie damals gesagt – und bei Michael offene Türen eingerannt. Er habe eine ganze Sammlung von Rembrandt-Radierungen daheim, hatte er gesagt, ausgeschnitten aus Kunstzeitschriften und Auktionskatalogen. Sie waren dann nach der Arbeit zu ihm gefahren und hatten sich die Bilder angesehen – lauter Porträts von alten Frauen in geschmackvollen Rahmen, die eine ganze Wand in Michaels kleinem Wohnzimmer bedeckten. Hoffentlich bittet er mich nicht, mit ihm auszugehen, hatte Toni damals gedacht – sie mochte ihn ja, aber eben nicht so . Zu ihrer großen Erleichterung war ihr eine entsprechende Frage erspart geblieben. Michael hatte offenbar wirklich nichts anderes im Sinn, als ihr voller Stolz seine Sammlung zu präsentieren. Ein Mamakind, hatte sie damals gedacht.
»Das ist ein guter Tipp«, sagte sie jetzt zu Monica. »Bleiben Sie dran, ja?« Toni wandte sich an James Elliot. »Haben wir die Anschrift und die Telefonnummer seiner Mutter gespeichert?«
Elliot bewegte seine Maus und klickte etwas an. »Ja, sie ist als nächste Verwandte registriert.« Er nahm den Telefonhörer ab.
Toni wandte sich wieder an Monica. »Hat Michael an jenem Nachmittag normal gewirkt?«
»Vollkommen.«
»Haben Sie das BSL - 4 gemeinsam betreten?«
»Ja. Aber dann haben wir uns natürlich in getrennten Umkleidekabinen umgezogen.«
»Als Sie dann ins eigentliche Labor kamen – war er da schon dort?«
»Ich glaube, ja. Ja, er hatte sich schneller umgezogen als ich.«
»Haben Sie Seite an Seite gearbeitet?«
»Nein. Ich war in einem Nebenraum und habe mich mit Gewebekulturen beschäftigt. Michael hat sich um die Versuchstiere gekümmert.«
»Haben Sie das Labor gleichzeitig mit ihm verlassen?«
»Er ging ein paar Minuten vor mir raus.«
»So, wie es klingt, hätte er leicht an den Tresor gehen können, ohne dass Sie etwas davon bemerkt hätten.«
»Ohne weiteres, ja.«
»Was haben Sie für einen Eindruck von Michael?«
»Der ist in Ordnung … harmlos, würde ich sagen.«
»Ja, das beschreibt ihn ganz gut. Wissen Sie, ob er eine Freundin hat?«
»Soviel ich weiß, nein.«
»Finden Sie ihn attraktiv?«
»Hübscher Kerl, aber nicht sexy.«
Toni lächelte. »Genau! Gibt es sonst irgendwelche Merkwürdigkeiten oder Besonderheiten, die Ihnen an ihm aufgefallen wären?«
»Nein.«
Toni glaubte ein gewisses Zögern in Monicas Stimme zu hören und sagte nichts, um ihrer Gesprächspartnerin Zeit zum Nachdenken zu geben. Neben ihr telefonierte Elliot mit irgendjemandem und bat darum, mit Michael Ross oder seiner Mutter sprechen zu können.
Monica meldete sich wieder zu Wort. »Also, ich meine, bloß deshalb, weil jemand allein lebt, ist er ja noch nicht verrückt, oder?«
Neben Toni sagte Elliot: »Sehr seltsam, ja. Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie so spät in der Nacht noch belästigt habe.«
Die Gesprächsfetzen, die sie von nebenan mitbekam, erregten Tonis Neugier. Sie sagte: »Nochmals vielen Dank, Monica. Ich hoffe,
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