Eisfieber - Roman
Laufenden, Ruth«, sagte Toni. »Du kannst mich über den Helmfunk erreichen.«
Ruths Stimme klang wegen der wachsenden Entfernung schon viel schwächer. »Er ist ins Koma gefallen«, sagte sie und fügte noch etwas hinzu, das Toni kaum mehr verstand. Die Stimme der Ärztin wurde rasch leiser, und kurz darauf war sie überhaupt nicht mehr zu hören.
Toni schüttelte sich, um sich aus ihrer düsteren Erstarrung zu lösen. Es gab genug zu tun. »An die Arbeit«, sagte sie. »Machen wir sauber!«
Einer ihrer Mitarbeiter entrollte ein gelbes Band mit der Aufschrift »Biologischer Unfall – Betreten verboten!« und begann das gesamte Grundstück damit abzusperren – das Haus, den Garten mitsamt der Hütte sowie Michaels Wagen. Glücklicherweise waren keine anderen Häuser betroffen. Hätte Michael in einem Mehrfamilienhaus mit gemeinsamen Lüftungsschächten gelebt, wäre eine Dekontamination schon zu spät gekommen.
Andere Mitarbeiter holten Rollen mit Müllsäcken, Gartensprinkleranlagen, die mit Desinfektionsmitteln gefüllt waren, Kartons voller Reinigungstücher und große, weiße Plastiktonnen herbei. Sämtliche Oberflächen mussten besprüht und abgewischt werden. Lose Gegenstände und Wertsachen wie Schmuck mussten in versiegelten Behältern in den Kreml gebracht und dort in einem Dampfdruck-Autoklaven sterilisiert werden. Alles andere verschwand in doppelten Müllsäcken, um später in der Verbrennungsanlage für medizinische Abfälle unterhalb des BSL - 4 -Labors entsorgt zu werden.
Toni bat einen der Männer, die schwarze Substanz, die Michael erbrochen hatte, von ihrem Schutzanzug zu wischen und sie abzusprühen. Es kostete sie Überwindung, sich den besudelten Anzug nicht einfach vom Leib zu reißen.
Während die Männer mit den Reinigungsarbeiten beschäftigt waren, sah Toni sich um und versuchte Hinweise auf die Hintergründe des Geschehens zu finden. Wie von ihr befürchtet, hatte Michael die Probe gestohlen, weil er wusste – oder zumindest vermutete –, dass er mit dem Madoba - 2 -Virus infiziert war. Aber wie war es zu dieser Infektion gekommen?
In der Gartenhütte befand sich ein Glasbehälter mit einer Wasserstrahlpumpe zur Erzeugung eines Vakuums wie in einem improvisierten Sicherheitslabor. Während sie sich um Michael kümmerte, hatte sie dieser Einrichtung kaum Beachtung geschenkt, doch jetzt entdeckte sie, dass in dem Behälter ein totes Kaninchen lag. Es sah aus, als sei es an der gleichen Krankheit verendet, mit der Michael sich infiziert hatte. Ob das Tier aus dem Labor stammte?
Neben dem Kadaver stand ein Trinknapf mit der Aufschrift »Joe«. Das war ein wichtiger Hinweis. Wer im Labor arbeitete, gab den Versuchstieren nur selten Namen. Man verhielt sich den künftigen Opfern der Experimente gegenüber freundlich, achtete aber darauf, dass sich keine persönliche Zuneigung zu den Todgeweihten entwickelte. Michael hatte seinem Kaninchen dagegen eine Identität gegeben, es wie ein Haustier behandelt. Hatte er seines Berufs wegen etwa ein schlechtes Gewissen?
Toni verließ die Hütte. Neben der mobilen Quarantänestation hielt gerade ein Streifenwagen der Polizei. Toni hatte damit gerechnet. In Übereinstimmung mit dem von ihr selbst entwickelten Krisenplan hatte der Werkschutz im Kreml nach dem Alarm automatisch die zuständige Polizeiwache in Inverburn informiert, und diese hatte einen Streifenwagen geschickt, um vor Ort zu überprüfen, wie ernst die Lage war.
Bis vor zwei Jahren war Toni selber bei der Polizei gewesen. Es war ihr Beruf, und lange Zeit galt sie sogar als Vorzeigefrau, die rasch Karriere machte und den Medien als Prototyp der modernen, bürgernahen Polizistin präsentiert wurde. Viele sahen in ihr schon die künftige erste Polizeipräsidentin Schottlands. Doch dann hatte sie sich mit ihrem Chef überworfen. Es ging um ein brisantes Thema: Rassismus in der Truppe. Der Chef meinte, es handele sich um bedauerliche Einzelfälle, nicht um ein allgemeines Problem. Toni hielt dagegen, dass Polizisten rassistische Übergriffe routinemäßig vertuschten – und damit sei das »Problem« die Regel und nicht die Ausnahme. Die Presse hatte von der Auseinandersetzung Wind bekommen und darüber berichtet. Toni weigerte sich, ihre Vorwürfe, von deren Berechtigung sie fest überzeugt war, zu dementieren, und wurde daraufhin zur Kündigung ihres Dienstverhältnisses genötigt.
Sie war nicht verheiratet, lebte damals aber schon seit acht Jahren mit Frank Hackett zusammen, auch
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