Eisglieder am Dackelrücken - 44 Berliner Szenen (& eine Zugabe) (German Edition)
Bodenfund und basta.“ U. sah jedoch vor allem eine Menge Scherereien auf sich zukommen: Telefonate mit Behörden, neugierige Fragen von Nachbarn, und vor allem vom Dorfpolizisten („Stasi 1.0“ schimpft er immer nur).
Seine Strategie in diesem Fall lautete: Totschweigen und Schreddern. „Der hat die Knochen in einen Gelbe-Punkt-Sack geschmissen und wollte das Skelett einfach in seiner Schottermaschine verarbeiten“, empörte sich F., „doch ich hab’ ihn überredet, erst noch mal abzuwarten!“ Außerdem hatte sie versprochen, ihm die Adresse ihrer Schwägerin bei der Denkmalpflege zu mailen. Doch damit fingen die Probleme erst an: „Seiner Frau hat er natürlich nichts erzählt, und sie benutzen den selben E-Mail-Account. Was soll ich jetzt bitteschön in die Betreffzeile schreiben?“ „’Leichen pflastern seinen Weg’ wohl eher nicht“, überlegte ich laut, und packte die rosa Papiertüten mit den Steaks auf das Transportband. Da F. gefährlich die Brauen verrenkte, schlug ich schnell „Unterm Birnbaum“ vor. „Um Gottes Willen, seine Frau kennt doch Fontane rauf und runter!“, warf F. ein. Schließlich kamen wir auf „Beton im Gemüt“. Das passte nicht nur berufs- und charaktermäßig, sondern stammt aus einem Song von Element of Crime, „Leichen im Keller, Beton im Gemüt“, und so weiter.
Als wir uns auf dem Parkplatz verabschiedeten, fragte ich noch: „Hast du eigentlich U.’s Frau in letzter Zeit gesehen?“ F. schüttelte den Kopf und rief durchs Seitenfenster: „Nee, er meint, die ist krank und bleibt erst mal zu Hause…Krrrk!“. Sie hatte sich beim Einlegen des Rückwärtsganges verkuppelt, und es gab ein unangenehm metallisches Knirschen.
Du kannst nur eine lieben
Als Selbständiger bist du ständig du selbst. Aber nicht immer am selben Ort. Was passieren kann, wenn man in Berlin-Mitte wochentags um fünf nach 12 Uhr in der eigenen Wohnung – vulgo: „Home Office“ – arbeitet, weiß ich jetzt auch. Ich aß keine Klops, trotzdem klopfte es. Vor der Wohnungstür stand ein lebendiges grünes Wahlplakat, kurze schwarze Haare, blaues Top, mit dem Gesicht Ramona Pops. Daneben im Halbschatten des Treppenhauses eine männliche Begleitperson. In meinem Kopf lief automatisch das Direktkandidaten-Memory ab. Ratzmann? Sauerteig? Sadullah Abdullah? Na, vielleicht nur ein Praktikant.
Die Schrecksekunde war dann auch schnell vorüber, das Verkaufsgespräch ging los. „Guten Tag Herr [Blick auf das Klingelschild, setze Namen ein], die Wahlen zum Abgeordnetenhaus stehen vor der Tür…“ Irgendwie fühlte ich mich mental total in der Defensive. Die linke Gehirnhälfte steckte in einem Bilder-Loop fest, vergleiche Original und Fälschung, entdecke die 17 Fehler. Seit drei Wochen war ich auf Schritt und Tritt sovielen Ramona Pops im DIN A 1 – Format begegnet, dass meine sonstigen Sozialkontakte proporzmäßig glatt an der fünf Prozent-Hürde scheitern würden. Schon in den Achtzigern hatte ich meine Kunstlehrerin verblüfft, weil ich Johannes Rau-Portraits ohne Vorlage aus dem Gedächtnis zeichnen konnte. Keine große Kunst, wenn im Wahlkampf das visuelle UBW zur Polaroid-Kamera degradiert wird.
Die rechte Gehirnhälfte verwickelte sich in eine ganz andere Suchschleife. Soziales Skriptwissen zum Abmoderieren von dräuenden Haustürgeschäften. Ehrlich, ich hatte sie schon alle auf der Schwelle. Bischöfinnen mit Klingelbeutel, Zirkusartisten in der Winterpause, Kabel-Deutschland-Evangelisten, und auch das Mütterchen von der Volkssolidarität. Mehr als zwei Euro hat mir noch niemand abgeluxt. Doch in welche Kategorie passt jemand mit einem Namen wie Ramona Pop? Eins war ja klar: Diese Frau wollte kein Kleingeld, sondern meine Stimme.
Während ich bereits das Wahlprogramm in der Hand hielt, erreichte die Suchschleife das Assoziationsfeld Italo-Schlager. Rocco Granata, Marina, Heidi Brühl, genau: Chicco Charlie! „Du kannst nur eine lieben, und nicht ein Dutzend gleich“. Jetzt hatte ich auch schon grüne Luftballons und einen Kugelschreiber erhalten. „Du bist nun mal auf dieser We-helt kein Pascha und kein Scheich…“. Lalala. Von wegen. Blickte ihr in die Augen, lächelte vielsagend: „Also wer meine Stimme bekommt, steht natürlich fest!“.
Höchst zufrieden machte das grüne Duo auf der Hacke kehrt und klingelte die Studenten von nebenan aus dem Schlaf. Na so ein Glück. In letzter Sekunde war mir der rote Umschlag eingefallen, schon letzte Woche im Briefkasten
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