Eisige Naehe
Henning. »Ich werde ihm heute mal richtig auf den Zahn fühlen. Weißt du was, Sören? Ich habe doch keinen Bock, hier rumzuhängen und auf das Haus zu stieren, das kann ich genauso gut bei uns mit der Wand machen. Komm, lass uns nach Hause fahren und die Füße hochlegen, die Nacht wird noch lang genug.«
»Einverstanden. Wahrscheinlich kommt der gar nicht
nach Hause, sondern fährt gleich nach Mönkeberg. Hast du die Kombination noch im Kopf?«
»Klar, mein fotografisches Gedächtnis funktioniert noch immer. Eins, neun, zwei, acht.«
»Perfekt, vielleicht sind wir ja vor ihm dort.«
»Das ist mir gleich. Ruhen wir uns noch ein bisschen aus,
ich bin ziemlich müde. Hat wohl mit den letzten Tagen zu tun. Manchmal hasse ich meinen Job.«
»Nicht nur du«, entgegnete Henning.
»Warum werden immer wir in diese Sümpfe gezogen?
Warum nicht auch mal irgendwelche Kollegen? Immer nur wir.«
»Klose watet doch seit Jahren nur noch durch Sumpf. Wir werden auch wieder bessere und ruhigere Zeiten erleben.«
»Was sind bessere oder ruhigere Zeiten? Ein Mann, der seine Frau aus Eifersucht totprügelt? Ein Pärchen, das sein Kind verhungern lässt? Ein Serienkiller, der die Stadt in Angst und Schrecken versetzt? Ein ...« »Hör auf«, wurde sie von Henning unterbrochen. »Wir haben uns diesen Beruf ausgesucht, und wir werden ihn weitermachen. Wenn das hier alles vorbei ist, nehmen wir uns ein paar Tage frei und fliegen irgendwohin.« Lisa Santos lachte auf. »Wann, glaubst du, ist es vorbei? Das kann noch Wochen oder Monate so weitergehen.« »Normalerweise bin ich ja der Pessimist von uns beiden, aber nun denke ich mal positiv: Wir werden Albertz nachher klipp und klar unsere Meinung sagen und fertig. Wir ziehen uns zurück, und keiner kann uns zum Weitermachen zwingen. Nicht einmal Albertz. Wir sind bei der Mordkommission und haben weder etwas mit dem Verfassungsschutz noch mit irgendeiner anderen dubiosen Organisation etwas zu tun. Okay?« Santos antwortete nichts, schweigend fuhren sie nach Hause.
Dort tranken sie Tee, aßen ein paar Plätzchen und ruhten sich aus. Um halb acht ging Lisa ins Bad, um zu duschen und sich umzuziehen. Nach zwanzig Minuten kam sie wieder heraus, Henning duschte ebenfalls. Nach dem Abendessen überprüften sie ihre Waffen. Sie waren bereit für das Treffen mit Albertz.
Um zwei Minuten nach neun erreichten sie Kleins Haus in Mönkeberg. Das Tor war nur angelehnt, so wie tags zuvor bei Bruhns. Sie gingen auf das Haus zu und durch die ebenfalls nur angelehnte Tür. Sie stiegen die Treppe hinauf und gelangten in den Raum, in dem sie Kleins Leiche vorgefunden hatten. Sie waren allein.
DONNERSTAG, 16.25 UHR
Hans Schmidt rief Sarah an. »Ich bin's«, sagte er nur. »Wie geht es dir?«
»Gut. Ich habe heute noch etwas vor, werde aber am späteren Abend vorbeikommen ...«
»Hast du mit Albertz gesprochen?«, fragte sie aufgeregt. »Nicht nur gesprochen. Albertz weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er wird dir nie wieder etwas antun.« »Du bist wahnsinnig. Was hast du mit seiner Frau gemacht?«
»Sie lebt. Ich habe lange mit ihr gesprochen, sie ist keine Gefahr, aber das erzähle ich dir alles nachher. Nur so viel - du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« »Das sagst du so. Ich mache mir aber welche.« »Dann lenk dich ab, wie ich es dir geraten habe. Wenn ich keine Angst habe, brauchst du erst recht keine zu haben. Wir sehen uns später, wann genau, kann ich nicht sagen.«
»Pass auf dich auf, bitte.«
»Das tu ich immer. Nur so konnte ich die letzten fünfundzwanzig Jahre überleben. Ich habe schon schwierigere Situationen durchgestanden. Bis nachher.« Er legte auf, besah sich im Spiegel und sagte leise: »Nach heute Abend hörst du endgültig auf. Endgültig.« Schmidt legte sich auf das Bett und schloss die Augen. Um Punkt acht fuhr er als Pierre Doux verkleidet nach Mönkeberg, er wollte als Erster auf dem Grundstück sein.
DONNERSTAG, 21.05 UHR
Henning und Santos standen in dem großen, kalten Raum und sahen sich fragend an. Es war, als würden sie beobachtet, aber sie wüssten nicht, von wo. »Herr Albertz?«, rief Santos, keine Antwort. »Herr Albertz?«, rief sie noch einmal, wieder keine Antwort.
Sie fröstelte und legte die Hand an die Waffe, ohne sie zu ziehen. Henning tat es ihr gleich, sie drehten sich einmal im Kreis - niemand.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, flüsterte Santos. »Wir sollten so schnell wie möglich von hier verschwinden.« »Keine
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