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Eisige Versuchung

Eisige Versuchung

Titel: Eisige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
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das.«
    »Niemals würde ich ihn verraten. Das wäre falsch. Er ist ein Wunder, und Wunder muss man bewahren.« Er lehnte sich über den Tisch zu ihr. »Du weißt doch, wie die Menschen sind. Sie würden ihn jagen.«
    Zögerlich, weil ihr das alles so unwirklich vorkam, entgegnete sie: »Er scheint mir selbst eine Art Krieger zu sein.«
    »Er hat eine Aufgabe zu erfüllen, das denke ich auch, und genau deshalb kommt man ihm besser nicht in die Quere.«
    »Zu spät!«, dachte Shade und nahm den Teebeutel aus ihrem Wasser. Sofort erhob Arthur sich und warf ihn weg, während er seinen Tee weiterhin ziehen ließ. Er mochte ihn wohl stark, auch was den Bourbon betraf.
    Shade wärmte ihre Finger an der Tasse. »Woher kennt ihr euch?«
    »Wir sind uns einfach begegnet«, antwortete er und ließ sich auf seinen Platz fallen. »Zuerst kam Roque, dann fing es an zu schneien. Zunächst glaubte ich, er wäre wieder verschwunden, aber er verschmolz nur mit der weißen Landschaft, deshalb sah ich ihn lediglich, wenn ich ganz genau hinschaute. Nicht wie ein Chamäleon, sondern andersherum.«
    »Du meinst, er verändert nicht sein Aussehen, sondern die Landschaft, um nicht aufzufallen?« Das war doch verrückt!
    Aber Arthur nickte. »Ich hielt immer Abstand zu ihm und er zu mir. Wir beäugten uns, das ja, und wir stellten wohl stillschweigend fest, dass wir vom gleichen Schlag waren: Männer, die ihren Frieden haben und allein sein wollen. Wir lassen uns gegenseitig in Ruhe.«
    Aufgewühlt drehte sie ihre Tasse hin und her, bis das schabende Geräusch Art dazu veranlasste, seine Hand auf ihren Arm zu legen, sodass sie damit aufhörte. »Aber du hast ihn bei seinem Namen genannt.«
    »Wir haben nie miteinander gesprochen. Es ist vielmehr so, dass ich ihn einfach weiß. Wie soll ich mich ausdrücken?« Er runzelte seine mit Altersflecken übersäte Stirn und kratzte sich an der Schläfe. »Es ist nicht Gedankenübertragung oder irgend so ein Unsinn, an den ich nicht glaube, sondern der Name war einfach da. Nicht in meinem Kopf, sondern in mir, als hätte er ihn mir auf irgendeine übersinnliche Weise mitgeteilt, um mir seinen Respekt zu erweisen, denn ich hatte ihm zuvor bereits zugerufen, wer ich bin, und ihn in meinem Wald«, entschuldigend zuckte er mit den Schultern, »willkommen geheißen.«
    Shade goss nun doch noch etwas mehr Whiskey in ihren schwarzen Tee, denn das alles übertraf ihre Vorstellungskraft. Sie war weder religiös noch esoterisch interessiert, sondern vielmehr eine Realistin. Mit ihrem Realitätssinn kam sie jedoch in diesem Fall nicht weit. Roque existierte, sie hatte ihn mit eigenen Augen gesehen und sogar berührt. Obwohl sich seine Haut kühl an ihren Handflächen angefühlt hatte, hatte sie darunter sein heiß pulsierendes Blut gespürt. Er war so lebendig wie Arthur und sie, und trotzdem so unbegreiflich. »Er sagt, er sei ein Eisengel.«
    »Dann glaube ich es ihm, Shade.«
    »Aber er hat nichts mit Cherubim und Serafim zu tun, oder?«
    »Auf den Abbildungen von den Engeln Gottes habe ich noch nie einen mit solchen Muskeln gesehen.« Arts Mundwinkel zuckten belustigt. »Aber was weiß ein einfacher Mann wie ich schon von himmlischen Dingen? Nichts. Schließlich habe ich meine Ehefrau aus der Friedhofserde ausgegraben und ihre Überreste aus höchst selbstsüchtigen Gründen von diesem geweihten Ort weggebracht.«
    Shade senkte ihre Stimme verschwörerisch: »Wenn er wütend ist, werden seine Augen schwarz wie Löcher, die so tief sind, dass man nie wieder herauskommt, wenn man einmal hineingefallen ist.«
    »Dann sollte man wegschauen, wenn man ihm begegnet.«
    »Wenn das mal so einfach wäre!«, dachte Shade. Je mehr sie über Roque nachgrübelte, desto interessanter wurde er für sie. Dabei ahnte sie, dass es besser war, sich von ihm fernzuhalten und ihn zu vergessen. Sie war ihm ein Mal entkommen. Ein zweites Mal würde es keinen Arthur Ehrman geben, der sie mit seiner Flinte rettete.
    Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Zwei Männer traten in die Hütte. Ihr energisches Vorgehen und ihre verkniffenen Mienen ließen darauf schließen, dass sie nicht auf einen Freundschaftsbesuch hergekommen waren.
    Als sie Shade sahen, blieben sie überrascht im Eingang stehen. Dann zog auch der Zweite seinen Revolver, und sein Mund verzog sich zu einem schmierigen Grinsen.

Viertes Kapitel
    Monster
    »Shade.« Roque ließ sich ihren Namen auf der Zunge zergehen.
    Wie ein Greifvogel saß er auf dem obersten Ast eines

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