Eisige Versuchung
Lauf:
Obwohl Roque mit maximaler Geschwindigkeit über den Highway raste, nahm er immer wieder seinen Blick von der Fahrbahn und schaute auf den Ausdruck, den der Autohändler aus Corpus Christi ihm gegeben hatte und der nun neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. »Was für ein Traum von einem Wagen!«
Ein runderneuerter Thunderbird Coupé in dem für die 1960er-Jahre typischen Cremeweiß mit kantiger Karosserie, wie es für einen Flair Bird üblich war. Mit dem runden Design der Vorgänger konnte Roque nichts anfangen. Der Kühlergrill und der Doppelvergaser wirkten ein wenig protzig, aber das gesamte Fahrzeug signalisierte seinen Kunden, dass er es geschafft hatte, und das wiederum ließ sie glauben, er wäre einer der besten Immobilienmakler in Texas, dabei war er nur Mittelmaß.
Aber es kam nicht darauf an, was man war, sondern darauf, was man nach außen hin vorgab zu sein. Diese Lehre hatte er aus der Tatsache gezogen, dass seine Kollegen in der Hafenstadt – die mit Limousinen vorfuhren und schicke Büros unterhielten, obwohl sie sich gerade erst selbstständig gemacht hatten – ihm die besten Objekte vor der Nase wegschnappten. Respekt und Vertrauen erhielt man als Vorschuss, wenn man auftrat wie ein erfolgreicher Geschäftsmann. Eines Tages würde er das auch sein.
Dieser heiße und zugegebenermaßen nicht gerade günstige 1966er-Thunderbird würde einen wichtigen Schritt nach ganz oben darstellen. Der Wagen hatte Stil, er fiel auf, und er sollte zu Roques Markenzeichen werden.
Bis dahin hatte er auf einen Anzug verzichtet und zog weiterhin nur Jeans und Hemden an, ohne Krawatten, denn die waren ihm zu spießig. Wie er diesen Volvo unter seinem Hintern hasste! Diese Scheißkarre sah genauso heruntergekommen aus wie die Häuser, die er zum Kauf anbot. Kein Wunder, dass er auf ihnen sitzen blieb und kaum über die Runden kam! Aber heute würde es klappen. Dafür würde er alles geben!
Seine Eltern besuchte er kaum noch, weil er jedes Mal kurz davor stand, seinem Vater den Hals umzudrehen, wenn dieser wieder einmal sagte: »Aus dir wird nie etwas! Meinst du, ich kriege nicht mit, dass deine Mutter dir heimlich Geld zusteckt? Und das, wo du fast dreißig Jahre alt bist!«
Roque verließ sie daraufhin wie ein geprügelter Hund, aber kehrte doch immer wieder zurück, weil er dort eine warme Mahlzeit umsonst bekam. Doch nun hatte er sich schon seit drei Wochen nicht mehr daheim blicken lassen.
Er wollte erst wieder mit seinem angezahlten Thunderbird vorfahren, koste es, was es wolle.
In der Dämmerung erreichte er das Grundstück, das weiter von Corpus Christi entfernt lag als jedes andere, das er anbot. Hier draußen gab es nichts außer flaches weites Land. Den Nachbarn konnte man nur mit einem Fernglas erspähen, als dunklen Fleck am Horizont. Das wäre nichts für ihn. Wahrscheinlich hatte er es deshalb noch keinem Interessenten aufschwatzen können. Er selbst wäre nie hier hinaus in die Einöde gezogen.
Aber heute würde er diese Bruchbude verkauft bekommen, das schwor er sich!
Seine Kunden parkten schon unmittelbar vor dem Haus, weil das elektrische Tor kaputt war, wie so vieles dort drinnen, und offen stand. Die Fassade strahlte, da er dem Besitzer Bob Porch einige Eimer Billigfarbe spendiert hatte. Der erste Eindruck war der Wichtigste, hieß es, und seiner Erfahrung nach stimmte das auch. Wenn jemand bereits auf dem Vorplatz ein langes Gesicht zog, hatte er noch immer abgelehnt.
Roque setzte sein bestes Verkäuferlächeln auf, stieg aus seinem Wagen und eilte mit ausgestreckter Hand zu dem älteren Paar. »Mr. und Mrs. Cusack, ich freue mich, Sie zu sehen! Ist das nicht ein herrlicher Tag?«
»Ein wenig zu heiß für mich, mein Kreislauf spielt verrückt.« Die alte Dame lächelte entschuldigend oder verlegen, Roque vermochte das nicht zu deuten. Mit einer Handtasche, die so dünn war, dass er bezweifelte, dass sich mehr als nur ein Stofftaschentuch darin befand, wedelte sie vor ihrem Gesicht herum.
Ihre Ohrringe sahen aus wie eingerollte Goldplättchen, dünn wie Zellophan. Der Schmuck war keineswegs protzig, sondern dezent wie auch die Halskette mit dem Kreuz und das dünne Gliederarmband. Alles aus Gold, genauso wie ihr Ehering. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid. Roque nahm an, es war das Beste, das sie besaß, weshalb sie es zum Kirchgang, zu Festen und zu geschäftlichen Terminen anzog, was ihm zeigte, wie wichtig ihr die Besichtigung war.
Triumphierend lächelte er in sich
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