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Eisiges Blut

Eisiges Blut

Titel: Eisiges Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Masello
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spiegelten. Bezeichnenderweise waren ihre Lippen kalt, die Finger wie Eiszapfen und ihre Herzen verschlossen wie Schwerter in ihren Scheiden.
    In dieser Hinsicht hatte sich seit der Krim wenig geändert. Entbehrung war alles, was sie kannte.
    Das Lazarett von Skutari war in der ehemaligen Selimiye Kislasi
Kaserne der türkischen Armee untergebracht. Als die Krankenschwestern von Miss Nightingale dort ankamen, mussten sie feststellen, dass es an allem mangelte, Verbandsmaterial, Decken, Arznei oder Kissen, um die Stümpfe, die von den amputierten Armen oder Beinen übrig waren, zu stützen. Nie zuvor hatte Eleanor so unbeschreibliches Elend gesehen oder sich vorstellen können, wie sie es dort erlebte. Selbst die Krankenschwestern, die in Arbeitshäusern und Gefängnissen gedient hatten, waren schockiert darüber, wie die britischen Verwundeten behandelt wurden. Männer, deren Gliedmaßen auf dem Schlachtfeld abgetrennt worden waren, wurden ohne jegliche Medikamente sich selbst überlassen. Oft waren sie unfähig, sich zu bewegen oder auch nur etwas zu essen. Soldaten, die sich mit der Ruhr, einer unkontrollierbaren Diarrhö oder dem mysteriösen »Krim-Fieber« angesteckt hatten, das in ihren Reihen wütete, lagen auf schmalen, blutgetränkten Pritschen in den überfüllten Fluren und bettelten um eine Tasse Wasser. Der üble Geruch aus der offenen Kanalisation, die zwischen den Baracken entlangfloss, war unerträglich, und die Kälte, die durch die zerbrochenen Fenster hineinkroch, war so grimmig, dass die Männer die Löcher mit Stroh verstopft hatten, was den Gestank in den Krankensälen noch verstärkte. Mehrere der empfindlicheren Damen erkrankten auf der Stelle selbst und waren so von Anfang an eher eine Last als eine Hilfe.
    Eleanor und Moira mussten, wie die meisten anderen Schwestern, zunächst die Laken waschen und ausbessern, obwohl sie dafür bestimmt nicht angereist waren. Sie waren gekommen, um die verwundeten Männer zu versorgen und den Ärzten und dem medizinischen Personal bei Notoperationen zu assistieren. Doch die Ärzte waren ihnen gegenüber so feindselig und misstrauisch, dass den Krankenschwestern der Zutritt zu den meisten Krankensälen verweigert wurde. Wenn sie Einlass begehrten, gab es niemanden, der sie unterstützte.
    »Man könnte meinen, wir wollten ihre Manschettenknöpfe stehlen«, sagte Moira empört, weil man sie aus einem Zimmer voll Verwundeter geschickt hatte. »Ich kann die Armen doch hören, wie sie auf ihren Lumpen liegen und um einen Eimer betteln, oder um einen Tropfen Morphin. Und ich sitze weniger als zehn Schritt daneben und mache was? Ich stopfe ein Loch in einer Socke!«
    Zuerst hatte Eleanor gestaunt, dass Miss Nightingale nicht energischer für die Interessen ihrer Schützlinge kämpfte, doch schon bald erkannte sie die Weisheit, die hinter ihrer Zurückhaltung steckte. Die britische Armee hatte ihre eigenen Vorschriften, und die waren seit Hunderten von Jahren in Stein gemeißelt. Indem sie die Herausforderung, die die Anwesenheit ihrer Schwestern darstellte, in Grenzen hielt und jegliche Konfrontation vermied, gelang es Miss Nightingale allmählich und ohne großes Aufsehen, die Pflichten und Verantwortlichkeiten ihrer Mitarbeiterinnen auszuweiten. Sobald die Obersten erst einmal persönlich erlebt hatten, welche Vorteile saubere Wäsche und frische Verbände hatten, wussten sie auch rasch den heißen Tee und die Getreideflocken, die Rinderbouillon und Sülze zu würdigen, die die Schwestern in einer improvisierten Küche zubereiteten. Die verstümmelten und leidenden Männer, die oft genug weit weg von zu Hause ihren letzten Atemzug auf einem abgenutzten Laken aushauchten, begannen die Krankenschwestern in den formlosen Kitteln und den törichten Hauben hoch zu schätzen.
    Doch es war vor allem Florence Nightingale, die für alle Zeiten ihre Herzen und Bewunderung gewann. Unerschrocken wagte sie sich sogar in jene Säle, in denen die Fieberkranken lagen, während die Ärzte sich weigerten, diese Räume zu betreten. Sie waren der Ansicht, dass die armen Seelen dort entweder durchkämen oder stürben und dass, wie immer es ausging, es nicht nötig sei, dass sie selbst sich der Gefahr einer möglichen Ansteckung aussetzten.
Seit undenklichen Zeiten wurde den Offizieren die beste verfügbare Hilfe und jeder Beistand zuteil, während die einfachen Soldaten und Infanteristen die furchtbarsten Qualen erlitten, ohne dass ihnen jemand Beachtung schenkte. Aber Miss

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