Eisiges Herz
links, dann nach rechts.
»Ich kann keinerlei Anzeichen für einen Kampf entdecken«, sagte sie. »Eigentlich überhaupt keine Spuren.«
»Da ist was.« McLeod hatte einen Zettel entdeckt, der unter einem Pflanzkübel klemmte, und bückte sich, um ihn aufzuheben. Er reichte ihn Delorme. Es war ein zehn mal fünfzehn Zentimeter großes liniertes Blatt, das von einem Spiralblock abgerissen worden war.
Das Blatt enthielt einige Sätze, mit Kugelschreiber in einer sauberen, energischen Handschrift geschrieben.
Lieber John,
wenn du das liest, werde ich dich auf eine Weise verletzt haben, die unverzeihlich ist. Es gibt keine Worte, die beschreiben könnten, wie leid es mir tut. Du sollst wissen, dass ich dich immer geliebt habe – ganz besonders in diesem Augenblick –, und wenn ich einen anderen Ausweg gefunden hätte …
Catherine
3
A ls Delorme wieder nach unten kam, betrat Szelagy gerade die Eingangshalle in Begleitung einer in Tränen aufgelösten, ganz in Schwarz gekleideten Frau.
»Sergeant Delorme«, sagte Szelagy, »das ist Eleanor Cathcart. Sie wohnt hier im Haus im neunten Stock, und sie kennt Catherine.«
»Ich kann es einfach nicht fassen«, sagte die Frau. Sie nahm ihren Hut ab und schob sich mit theatralischer Geste eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. Alles an ihr wirkte übertrieben: Sie hatte dunkle Augenbrauen, trug dunklen Lippenstift, und ihre Haut war so weiß wie Porzellan, obwohl an ihr nichts auch nur entfernt Zerbrechliches war. Die Art, wie sie bestimmte Wörter aussprach, ließ darauf schließen, dass sie sich Paris sehr verbunden fühlte. »Ich lasse sie ins Haus, und sie springt vom Dach? Das ist doch einfach
macabre
.«
»Woher kennen Sie Catherine Cardinal?«, fragte De lorme.
»Ich unterrichte am College. Theaterwissenschaften. Catherine unterrichtet dort Fotografie.
Mon Dieu
, ich kann es nicht fassen. Ich habe sie erst vor ein paar Stunden ins Gebäude gelassen.«
»Warum haben Sie sie hereingelassen?«
»Ach, ich hatte ihr immer so vorgeschwärmt von der schönen Aussicht aus meinem kleinen
pied-à-terre
. Sie hat mich gefragt, ob sie mal herkommen und fotografieren könnte. Das hier ist schließlich das einzige hohe Gebäude auf dieser Seite der Stadt. Sie hat schon seit Monaten davon gesprochen, aber wir sind erst kürzlich dazu gekommen, ein
rendezvous
auszumachen.«
»Waren Sie in Ihrer Wohnung verabredet?«
»Nein, sie wollte nur aufs Dach. Da oben gibt es eine Dachterrasse. Ich habe sie nach oben begleitet und ihr gezeigt, wie man die Tür offen halten kann – sie fällt nämlich sonst zu, und dann ist man ausgesperrt, wie ich aus eigener bitterer Erfahrung weiß. Ich habe mich nicht lange da oben aufgehalten. Sie war bei der Arbeit und wollte ungestört sein. Die Kunst verlangt ein großes Maß an Einsamkeit.«
»Sie sind sich also ziemlich sicher, dass sie allein war.«
»Ja, sie war allein.«
»Wo wollten Sie eigentlich hin?«
»Zu einer Theaterprobe im Capital Centre. Wir proben gerade
Das Puppenhaus
, und nächste Woche ist Premiere. Glauben Sie mir, einige in der Truppe sind längst noch nicht so weit. Unser Torvald liest seinen Text immer noch ab.«
»Wirkte Catherine in irgendeiner Weise aufgewühlt?«
»Überhaupt nicht. Na ja, Moment. Nein, sie war sehr konzentriert, sie konnte es kaum erwarten, aufs Dach zu gelangen, aber ich habe das als Begeisterung für ihre Arbeit interpretiert. Andererseits ist Catherine nicht immer leicht zu durchschauen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie bekommt regelmäßig solche Depressionen, dass sie in die Klinik muss, und davon hab ich auch nie etwas bemerkt. Aber wie die meisten Künstler neige ich dazu, sehr mit mir selbst beschäftigt zu sein.«
»Es würde Sie also letztlich nicht wundern, wenn sie Selbstmord begangen hätte?«
»Nun, es ist ein Schock. Ich meine,
mon Dieu
. Glauben Sie etwa, ich würde ihr einfach die Schlüssel zur Dachterrasse in die Hand drücken und sagen ›Tschüs, meine Liebe, angenehmen Selbstmord, ich bin mal eben zur Probe‹? Ich bitte Sie.«
Die Frau warf den Kopf in den Nacken und betrachtete die Decke. Dann schaute sie Delorme aus ihren dunklen Augenan. »Sehen Sie es so«, sagte sie. »Ich stehe hier wie vom Donner gerührt, aber gleichzeitig würde ich sagen, dass ich Catherine Cardinal von allen Leuten, die ich kenne – und ich kenne eine
Menge
Leute –, am ehesten einen Selbstmord zutrauen würde. In eine geschlossene Anstalt kommt man schließlich nicht
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