Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
Nähe befand sich die Abwrackwerft, wo alte Schiffe verschrottet wurden.
»Das ging aber schnell«, sagte sie und fröstelte noch ein bisschen von ihrem Tauchgang.
Sie nahm einen Schluck vom Kaffee. Sie hatte wieder den Ort aufgesucht, wo der alte Hannibal oft mit ihr zum Fischen gewesen war. Aber sie hatte in dem zwei Grad kalten Wasser nicht viel mehr gefunden als Sand, Tang und ein paarerstaunte Fische. Sie musste sich endlich diese fixe Idee aus dem Kopf schlagen. Hannibal war tot. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er von seinem Kutter gefallen, da dieser nur kurze Zeit später am Fjellerup Strand an Land getrieben wurde. Sie begriff nicht, warum es ihr so schwerfiel, diese Erklärung zu akzeptieren. Alle anderen hatten sich damit offenbar abgefunden. Warum konnte sie diese Geschichte nicht endlich ruhen lassen?
»… runter mit Niklas?«
Allan Vraa sah sie fragend an.
»Erde an Kir?«
Sie riss sich zusammen. Sie hatte sich so auf ihre Kollegen und ein gemeinsames Projekt gefreut und wollte das Beste daraus machen.
»Klar, ich bin hier. Alles Roger.«
»Gut!«, sagte Allan Vraa, zerdrückte seinen leeren Plastikbecher und warf ihn in den Mülleimer.
»Holt eure Sachen. Wir fangen an.«
K APITEL 12
Felix kannte alle Tricks, wie man sich die Schlaflosigkeit zum Freund machte.
Eines hatte sie nämlich gelernt aus den Unmengen an Frauenzeitschriften, die sie im vergangenen Jahr durchgearbeitet hatte: Man soll seine Schlaflosigkeit umarmen und herzlich willkommen heißen, wie einen guten alten Freund.
Das Problem war nur, dass es nicht funktionierte. Sie hatte es wirklich probiert. Und es endete immer damit, dass der alte Freund länger blieb, als die Einladung vorgesehen hatte.
Darum stolperte sie wie betäubt durch das Dasein, dieWelt war eine Kulisse und sie eine Art Statist in einem großen Schauspiel. Aber sie konnte nicht anders.
Sie trank etwas Tee, zwang sich, einen Keks zu essen, und machte sich vor, dass sie geschlafen hätte. Sie holte die Zeitung herein und brachte Kälte mit ins Haus. Die Schlagzeile erzählte von dem vermissten Mädchen und von der Leiche, die am Strand gefunden worden war. Der Mann hieß Ramses Bilal. Ägypter. Vorbestraft.
Sie hob den Blick und sah hinüber zum Haus ihres Nachbarn. Wer war dieser Peter Boutrup? Woher kannte er einen Gewaltverbrecher?
Boutrup war noch nicht wieder nach Hause gekommen. Gestern hatte er das Haus verlassen und war seitdem verschwunden. Sie ging davon aus, dass er den Hund mitgenommen hatte. Man konnte einen Hund nicht so lange allein lassen und er war ganz offensichtlich jemand, der seinen Hund liebte. Felix ertappte sich bei dem Gedanken, ob es in seinem Leben wohl auch einen Menschen gab, den er so liebte.
Sie sah die Straße hinunter, die auf die Steilküste und weiter nach Gjerrild reinführte. Der Postbote war schon längst weitergefahren, alles war menschenleer. Sie stand auf, bekam aber einen so starken Hustenanfall, dass sie sich wieder setzen musste. Das war gar nicht gut. Sie war krank. Die Krankheit störte sie nicht, was sie aber störte, waren die Erinnerungssplitter, die in der Nacht aufgetaucht waren. Bruchstücke einer Geschichte, die sich aufdringlich zu Wort meldeten und auf eine Reaktion von ihr drängten. Angestachelt von Ramses Bilal: Gesichter. Gesprächsfetzen. Puzzleteile von dem Tag, an dem ihre Welt explodierte. Sie wehrte sich. Aber sie drückten gegen die Tür des Vergessens wie eine Flutwelle und begehrten Einlass.
Peter Boutrup. Sie musste sich auf ihn konzentrieren.Vielleicht konnte sie so das andere in den Hintergrund drängen.
Sie zog sich Jacke und Stiefel an, ging in den Carport und nahm sich die Schaufel. Es dauerte nur wenige Minuten und sie hatte den Stein freigelegt, an dem auch Peter Boutrups Gast in der Silvesternacht gegraben hatte. Auch den Schlüssel hatte sie schnell gefunden. Einen Augenblick stand sie damit in der Hand und versuchte, an ihr Gewissen zu appellieren. Aber da war eine lautere Stimme in ihr, die jede Warnung übertönte.
Sie schloss die Tür auf und trat ein.
Es war sehr sauber und der Geruch erinnerte sie an etwas. Zuerst dachte sie an das Schiff, das sie vor ein paar Jahren zusammen angemalt hatten, kurz bevor es zu Wasser gelassen wurde. Sie erinnerte sich nicht an irgendwelche Details, nur an das Gefühl von Verbundenheit. Endlich hatten Erik und sie ein gemeinsames Projekt und Spaß daran gehabt. Sie zumindest.
Sie bewegte sich lautlos durch das Haus. Dielenfußboden.
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