Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
Position mit einem Karabinerhaken an der Laufleine. Dann schwamm sie erneut die zwanzig Meter zur Position der Laufleine Nummer 2. Die eine Hand dabei ununterbrochen tief im Fischschlamm vergraben. Sie unterdrückte die wachsende Übelkeit, es war, als würde sie in Fischsuppe schwimmen.
Sie arbeitete sehr konzentriert. Ihre Hand bekam Flaschen und Eisenschrott zu fassen. So vergingen die ersten zwanzig Minuten. Sie hatte sich gerade fast an den Schlamm in ihren Händen gewöhnt, als sich plötzlich etwas um ihre Finger wickelte. Vorsichtig versuchte sie mehr zu ertasten. Gras? Haare?
Die Kälte drang sofort durch den Neoprenanzug, weil sie sich nicht mehr bewegte. Die Bilder vom Tauchergang im Vejle Fjord überfluteten sie: die langen Haare der Toten hatten im Wasser geschwebt wie Seegras. Die Haare waren das Erste gewesen, was sie gefühlt hatte. Sie hatten sich um ihre Finger gewickelt und sie hatte daran reißen müssen, um sich zu befreien. Und hatte Angst gehabt, dass der Kopf folgen könnte.
Auch diesmal zog sie an dem Gegenstand, der um ihre Finger geschlungen war. Er gab nach und mit Schwung flog ihr Arm nach hinten. Aber es war kein Haar, dafür war es viel zu hart und faserig, beschloss sie. Ausgefranstes Tau oder so etwas. Sie zwang sich, ruhig zu atmen, niemand sollte erfahren, dass sie so panisch reagiert hatte. Es würde von allein weggehen, da war sie sich sicher. Es ging immer von alleine weg.
Mehrere Male atmete sie kräftig ein und aus. Langsam, aber regelmäßig.
Dann setzte sie die Suche fort und konzentrierte sich darauf,systematisch vorzugehen. Die Routine rettete sie. Sie schwamm zwischen den Laufleinen hin und zurück, in einem gleichmäßigen Rhythmus. Es ging darum, so wenig wie möglich nachzudenken.
Es funktionierte und sie konnte diese Episode als erledigt abhaken, während ihre Hände ihre Arbeit taten. Die starke Strömung zerrte an ihrem Körper, aber die Leinen waren straff und flach über dem Boden angebracht und wurden von Gewichten festgehalten, sodass sie nicht wegtreiben konnte. An jedem Leinenende war ein Achtzehn-Kilogewicht befestigt und in der Mitte ein Gewicht von je sieben Kilo. Die Leinenenden waren zusätzlich noch mit Seilen versehen, die nach oben zu Bojen führten. Die Leinen würden ihre Position nicht ändern, anders verhielt es sich da mit einer Leiche. Die Strömung konnte sie ohne Schwierigkeiten hin und her bewegen. Kir hoffte, dass sie nicht hinter einer Leiche herjagten, die ständig ihre Position im Hafenbecken veränderte.
Plötzlich spürte sie ein Leinensignal, einen Doppelruck an dem Seil, das sie mit der Oberfläche verband. Darauf folgte ein einfacher Ruck, dann erneut ein doppelter: das war das Morsezeichen für ›K‹, das Signal für Aufstieg. Sie war noch nicht fertig mit ihrer Arbeit, der Abbruch musste also einen anderen Grund haben. Ärgerlich tauchte sie auf. Sie hatte die unterschiedlichsten Dinge gefunden: Fahrräder, Einkaufswagen, Autoreifen, Ölfässer und Flaschen. Aber keine Spur von Nina Bjerre.
»Da kommt ein Kutter rein«, klärte Allan sie auf, als sie sich am Rand des Gummibootes festhielt. Auch Niklas war aufgetaucht. Sie warteten im Wasser, bis der Kutter angelegt hatte. Es hätte keinen Sinn gemacht, die Taucher aus dem Wasser zu holen, um sie kurz darauf wieder runterzuschicken. Dann hätten sie mit der Justierung der Orientierungsleinewieder von vorne anfangen können. Trotzdem hatte Kir irgendwie den Antrieb verloren, als Allan sie endlich wieder auf den Grund schickte. Und als der Tauchgang beendet war, fühlte sie sich unzulänglich und war frustriert.
Mit klappernden Zähnen saß sie auf der Kante des Gummibootes und trank heißen Kaffee aus der Thermoskanne, während Allan sie zum Kai fuhr. Ihre Kollegen trugen Overalls, Mützen und Handschuhe. Im Boot stand eigentlich immer eine kleine Wasserpfütze am Boden, an diesem Tag aber war sie gefroren. Auch auf der Ausrüstung lag eine dünne Eisschicht. In der Hafenmündung tauchte ein weiterer Kutter auf. Allan klopfte Kir auf die Schulter.
»Denk dran: Ein Seemann friert nicht …«
Sie konnte leider nicht den zweiten Teil der Redewendung aufsagen, so sehr klapperten ihre Zähne. Darum übernahm Allan es für sie:
»… er wird nur blau und stirbt.«
Es war nicht weit bis zum Kai, aber Kir bemerkte erst jetzt, dass sich mehrere Fahrzeuge zu den Einsatzwagen gesellt hatten. Überall standen Leute herum, einige von ihnen hatten Kameras geschultert.
Ein paar Autos
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