Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
erzählte ihm von Ramses. Er hätte wissen müssen, dass die Geschichte schon längst ihre Runde gemacht hatte.
»Ich habe behauptet, dass ich ihn nicht kenne.«
Es war unnötig, dieses Detail weiter auszuführen. Manfred schlug ihm auf die Schulter und sah ihn mit seinen schmalen, intelligenten Augen an.
»Ich habe mir gerade noch einmal Von Mäusen und Menschen vorgenommen«, sagte er nach einer kurzen Pause.
Peter kannte die Erzählung von John Steinbeck sehr gut. Sie handelte von zwei ungleichen Freunden, George und Lennie, und deren hoffnungslosem Traum von einem besseren und freieren Leben als dem harten Alltag eines Wanderarbeiters.
Manfred sah ihn an wie immer, voller Freundlichkeit und Freundschaft. Aber hinter diesem Blick las Peter die Frage, ob auch er sich – so wie Lennie und George – seine Chance auf ein neues Leben aus lauter Dummheit versauen würde.
»Das war ein Fehler von mir«, gab Peter zu. »Ich habe vor, nachher bei der Polizei vorbeizufahren und es wieder geradezurücken.«
Manfred nickte nur und Peter war ihm so dankbar dafür, dass sie sich Dinge sagen konnten, ohne dass gleich alles zerredet werden musste. Während er sich an die Arbeit machte, musste er über Manfreds Vergleich mit Steinbecks Titelhelden nachdenken. Man musste aufpassen, damit man sich seine Träume nicht zerstörte, und seine Verheimlichungen konnten schnell dazu beitragen. Aber er war nicht wie George und Lennie. Er hatte zu sehr um seine Freiheit gekämpft, um sie aus den Augen zu verlieren.
»Die haben heute bestimmt viel zu tun bei der Polizei«, sagte Manfred, als er erneut die Schleifmaschine ausschaltete. »Du wirst wahrscheinlich eine Wartenummer ziehen müssen.«
»Sag bitte nicht, dass die noch mehr Leichen gefunden haben.«
Manfred beugte sich vor und drehte mit einem Schwung die Tür um und legte die Rückseite auf die Böcke.
»Erinnerst du dich, dass ich dir von Juttas Freundin erzählt habe, deren Tochter nach der Party nicht wieder nach Hause gekommen ist?«
»Klar, ist sie immer noch nicht aufgetaucht?«
»Nein, sie werden jetzt das Hafenbecken nach ihr absuchen. Eine Tauchermannschaft aus Kongsøre ist angerückt, du weißt schon, da, wo sie die Froschmänner, also die Kampfschwimmer für die Munitionsbergung und so ausbilden.«
Peter musste unwillkürlich an seinen Nachhauseweg in jener Nacht denken und an die Kälte, als er im Schlafsack auf dem Balkon gelegen hatte, den Hund dicht an sich gedrückt.
»Armes Mädchen«, sagte er. Das hörte sich nicht richtig an, aber dafür gab es einfach keine richtigen Worte.
Manfred nickte.
»Armes Mädchen. Und die armen Eltern.«
K APITEL 11
Kir erhielt den Anruf, als sie gerade wieder aufgetaucht war und tropfnass im Boot saß. Allan Vraa war am Apparat. Ob sie so kurzfristig Zeit hätte für einen Tauchgang im Hafenbecken von Grenå?
»Selbstverständlich. Wonach suchen wir?«
»Nach einer jungen Frau. Nina Bjerre heißt sie. Sagt dir das was? Sie ist in der Silvesternacht nicht nach Hause gekommen.«
Kir stammte aus Grenå und war dort aufgewachsen, aber der Name kam ihr nicht bekannt vor. Der Gedanke daran, dass jemand sein Leben auf dem Grund eines eiskalten Hafenbeckens beendet hatte, versetzte sie in eine düstere Stimmung. Und dann ausgerechnet in der Silvesternacht.
»Wo bist du gerade?«
»Ich gehe spazieren, in der Polderrev Plantage«, log sie.
»In dieser Hundekälte?«
Sie hoffte sehr, dass er das Geräusch der Wellen nicht hörte. Was würde er wohl denken, wenn sie ihm sagen würde, dass sie sich zwei Seemeilen vor dem Hafen befand?
»Ich brauchte dringend frische Luft!«, sagte sie.
»Na, davon wirst du genug abkriegen, wenn du kommst und uns hilfst, das verspreche ich dir«, sagte der Korvettenkapitän und ihr ehemaliger Ausbilder in Kampfmittelräumung in Kongsøre. »Wir haben verdammt noch mal minus zehn Grad. Und gerade kam eine Schneesturmwarnung rein.Fahr nach Hause und trink was Warmes, bevor du dich auf den Weg machst.«
Sie beruhigte ihn und legte auf. Irgendwie kam sie sich dumm vor. Niemand sollte von ihrer sinnlosen Freizeitbeschäftigung erfahren und schon gar nicht Allan Vraa, der sie als Minentaucherin respektierte. Dieser Respekt aber könnte schnell flöten gehen, wenn er wüsste, dass sie auf eigene Faust nach einer Leiche tauchen ging, die wahrscheinlich schon längst zu Fischfutter geworden war.
Sie hatte nicht mehr viel Zeit, um an Land zu kommen und zu Hause vorbeizufahren. Zu Hause, das
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