Eiskalt wie die Nacht: Thriller (Dicte Svendsen ermittelt) (German Edition)
Widerwillig folgte sie seiner Aufforderung, sich bei ihr in der Wohnung zu unterhalten. Die war klein, nicht mehr als fünfundzwanzig Quadratmeter, und spartanisch eingerichtet. Wohn- und Schlafzimmer gingen ineinander über. Der Bettbezug war weinrot, die Gardinen auch. Auf einem kleinen, runden Tisch standen auf einem Metalltablett drei schwarze, unterschiedlich hohe Kerzen. Die Stühle hätten von seiner Großmutter sein können.
»Du weißt, dass Gry tot ist?«
Sie nickte. Sie hatten sich an den Tisch gesetzt. Ihr Gesicht war mit Schminke zugekleistert, dabei sah sie bestimmt ganz niedlich aus. Eine kleine Stupsnase, Schmollmund, der aussah, als lachte er eigentlich gerne. Ihre blonden Haare trug sie kurz geschnitten, was ihre schöne Kopfform und die eng anliegenden Ohren betonte.
»Wie alt bist du?«
»Dreiundzwanzig.« Sie sah ihn mit einem so durchdringenden Blick an, dass ihm unwohl wurde.
»Was willst du wissen?«, fragte sie schließlich.
»Hatte Gry Stammkunden?«
»Ja, dich.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, offenbarte für einen kurzen Moment ein Lachgrübchen.
»Kanntest du eins der drei Mädchen, die kurz vor Weihnachten hier in Grenå waren? Weißt du zum Beispiel, wo sie gewohnt haben?«
»Manchmal haben die bei uns übernachtet, bei mir oder bei Gry. Sonst weiß ich nicht, wo die …«
»Wie heißen sie?«
»Tora, Lily und Lena.«
»Und weiter?«
Das wusste sie nicht.
»Warum habt ihr sie bei euch schlafen lassen?«
»Die hatten Geld und es war lustig mit denen.«
»Wo hatten die das Geld her? Sind die arbeiten gegangen?«
Sie machte ein Gesicht, als hätte er eine unmögliche Frage gestellt. Dann schüttelte sie den Kopf.
»Und Drogen?«
»Ein bisschen Koks und so was. Aber nichts Großes.«
»Hatten sie Freunde hier in der Stadt? Weißt du, was sie vorhatten?«
»Die haben mit allen Möglichen abgehangen«, sagte sie ausweichend und beschäftigte sich eingehend mit ihren Nägeln, die überraschend gepflegt waren.
»Die hatten irgendwas vor«, sagte sie. »Die wollten uns als Helfer anwerben, aber wir hatten ja unseren Job hier, Gry und ich.«
»Wobei solltet ihr denen helfen?«
»Ach, zwischendurch haben die ganz schön dicke Hose gemacht. Wir sollten bei so ’ner Sache mitmachen.«
»Und was für eine Sache war das?«
Helle sah ihn ablehnend an.
»Helle, das ist verdammt wichtig. Gry ist tot und du bist auch in Gefahr.«
»Okay«, seufzte sie. »Die brauchten unsere Hilfe bei einer Schatzsuche und haben uns versprochen, dass auch für uns was dabei rausspringt.«
»Und wo sollte dieser Schatz zu finden sein?«
Sie wand sich.
»Im Meer irgendwo.«
Ramses und Tora waren beide im Wasser gefunden worden, dachte Mark. Hatte das alles mit einem Schatz zu tun?
»Aber das haben wir denen nicht abgenommen«, beeilte sich Helle hinzuzufügen. »Die waren meistens besoffen, wenn die davon anfingen.«
K APITEL 46
Das Enner Feld westlich von Horsens war eine unfruchtbare und abweisende Eislandschaft. Einem Gletscher gleich, auf dem kein Leben wachsen und gedeihen kann.
Aber dort gab es Leben, das wusste Peter aus eigener Erfahrung. Kein glückliches Leben, aber eines, das an diesen Ort gehörte. An diesem Tag peitschte der Wind über das Feld und der Schnee stob in arktisch kalten Böen über die offene Landschaft. Wie übergroße, rechteckige Legosteine lagen die niedrigen, gelben Gebäude, umgeben von einer 1400 Meter langen Mauer, die mit Maschendrahtzaun verziert war. Als hätte ein wütendes Kind sie im Schneesturm zurückgelassen. Die Internetseite vom Staatsgefängnis Ostjütland bot eine Vielzahl von Aktivitäten an, als würde man die wie in einem Fünfsternehotel buchen können. Aber die Ferien auf dem Enner Feld boten keine Sonnengarantie, sondern einen unpersönlichen Aufenthalt im Schatten der Gesellschaft.
Die Wache tastete ihn sorgfältig ab und bat um einen Ausweis. Zum Glück war er neu und kannte ihn nicht. Wie am Flughafen durchlief er mehrere Hochsicherheitsschleusen, ihm wurden Handy und Tasche abgenommen, nur die zwei Packungen Camel als Opfergabe waren erlaubt. Aber auch sie wurden gescannt und angefasst, als handele es sich um gefährlichen Sprengstoff.
Ein Antrag auf Besuchserlaubnis dauerte normalerweise lange und erforderte viel Schriftverkehr und Papierkram. Aber Peters alter Kumpel Matti Jørgensen hatte seinen Einfluss als ehemaliger Mitarbeiter geltend gemacht und den Dienstweg für ihn abgekürzt. Matti war auch im
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