Eiskalte Berührung - Cole, K: Eiskalte Berührung
Außerdem war ihnen Lukyan, der hitzköpfige Russe, zugefallen. Mochte Kristoff noch so sehr darauf bestehen, dass die ehemaligen politischen Bündnisse durch die Zusammenschlüsse in der Mythenwelt ersetzt worden waren, so stellte der listige König doch stets den Esten einen Russen zur Seite und umgekehrt.
Im Laufe der Nacht gelang es Murdoch immer besser, Geschöpfe der Mythenwelt zu erkennen – sie schienen cleverer, argwöhnischer und betrunkener als die Menschen zu sein – , aber er wusste nach wie vor nicht, was genau sie waren.
Und nicht ein Einziger unter ihnen war bereit, ihnen Informationen zu liefern. Die Frauen ließen ihm gar nicht erst genug Zeit, um sie zu bezirzen. Die Männer sahen allesamt so aus, als ob sie beim geringsten Anlass bereit wären, einen Kampf zu beginnen.
Am weitesten war er noch mit einer nur spärlich bekleideten Frau gekommen, deren Körper mit Blattmustern bemalt war. Sie hatte ihm zumindest ein paar Sekunden zugehört, sodass er sich vorstellen und einige Fragen stellen konnte. Zugehört hatte sie allerdings nicht. Sie hatte ihn nur ungeniert angegafft, ab und zu vage genickt und gemurmelt: »Mh-mhh, mein Kleiner, red ruhig weiter, Trixie hört dir zu.«
Das tat sie, bis sich eine weitere Frau, die wie sie gekleidet und bemalt war, zwischen sie warf und der ersten eine empörte Predigt hielt. »Er ist ein Vampir ! Ist dir das denn völlig egal, du Nuttenschlampe von einer Nymphe?«
»Selber!«
Dann waren sie übereinander hergefallen, die Lippen in einem tiefen, wilden Kuss aufeinandergedrückt, und zu Boden gegangen.
Alles in allem hatten die Devianten absolut nichts über Ivos derzeitigen Aufenthaltsort erfahren.
Mitternacht rückte näher, als Rurik, Lukyan und Murdoch auf einem Balkon standen, von dem aus sie einen guten Überblick über das Gedränge unter ihnen hatten. Die beiden anderen stritten sich über diverse Themen, während Murdoch still und in Gedanken versunken danebenstand, tief beunruhigt über Danielas Verhalten.
Natürlich wusste er, wieso sie ihm diesen Streich gespielt hatte. Und er wusste, wieso es das Beste wäre, wenn er sie niemals wiedersehen würde. Warum fühlte er dann nur dieses dringende Bedürfnis, sie aufzuspüren? Er sehnte sich danach, sie zu sehen, ihren Duft noch einmal frisch in sich aufzunehmen.
Er hatte in dieser Nacht eine ganze Reihe hübscher Frauen gesehen, aber für keine von ihnen das geringste Interesse verspürt. Auch wenn er nur wenig über Daniela wusste, musste er seit der Erweckung ununterbrochen an sie denken.
Immer wieder erinnerte er sich an ihre Verletzlichkeit, als sie gesagt hatte, dass sie ihn wiedersehen wolle. Wieder und wieder sah er vor sich, mit welch verwirrender Zärtlichkeit sie ihm die Arme vertrauensvoll entgegengestreckt hatte.
Als Mensch hatte er unbekümmert in den Tag hineingelebt. Frauen hatten ihm nur in Bezug auf eines vertraut: seine Fähigkeit, sie zu beglücken. Doch Daniela hatte fest daran geglaubt, dass er es schaffen könnte, die Pfeile rechtzeitig zu entfernen.
Morgen Nacht könnte er nach Blachmount gehen und Myst fragen, wie er ihre Schwester kontaktieren konnte. Allerdings würde Myst sich möglicherweise weigern, diese Information preiszugeben. Wenn ihm gar nichts anderes mehr übrig blieb, könnte er immer noch versuchen, den Walkürenkoven zu finden, trotz Danielas Warnung, dass sie ihn auf der Stelle töten würden.
Eine weitere Quelle des Unbehagens? Er konnte einfach nicht aufhören, darüber nachzugrübeln, wie die Wroth-Brüder in die Geschichte der Mythenwelt eingegangen waren und wie man ihre Taten, oder Untaten, bewertete. Nach den endlosen Schlachten und Entbehrungen, die sie alle ertragen hatten, erinnerte man sich an Nikolai als den aufopferungsvollen General, während Murdoch die männliche Hure war?
Er vermutete, dass ihn das nur aus einem einzigen Grund störte: Weil Daniela ihn so sah …
»Was meinst du dazu, Murdoch?«, fragte Rurik.
»Was? Ich hab nicht zugehört.«
»Wir sprachen von Bräuten und Walküren.«
Murdoch hätte sich beinahe verschluckt. »Ach, wirklich?«
Rurik verzog fragend das vernarbte Gesicht .
Er weiß, dass irgendetwas mit mir los ist. Schließlich kennt er mich seit Jahrhunderten.
Rurik war einer von fünf sterbenden Mitstreitern gewesen, die jene schicksalhafte Abmachung akzeptiert hatten, die Nikolai mit Kristoff ausgehandelt hatte. Aber der gerissene König wusste, dass diese Männer Nikolai und Murdoch treu ergeben waren
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