Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
gab dem Mann seine Papiere zurück. Auf ein Zeichen öffneten sich gemächlich die schweren Stadttore. „Ihr kommt in einer ungünstigen Zeit.“, wandte er sich noch einmal an die Reisenden, „Piraten suchen seit kurzem die Stadt und das Umland heim. Der Seehandel ist fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Ich befürchte, ihr werdet jetzt keine Geschäfte machen können.“ „Auch das noch!“, murmelte Ranja desillusioniert. „Vom Regen in die Traufe.“
Kapitel 27
„Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder hierher zurückkommen würde.“ Es war nur ein Flüstern, das Mia über die Lippen kam. Mit weit geöffneten Augen blickte sie auf den Arjat. Der Berg wirkte majestätisch, insbesondere in dieser eher flachen Gegend. Richtiges Gebirge gab es in ganz Quandala nicht. Und so markierte der Arjat mit seinen knapp tausend Metern die höchste Erhebung im ganzen Reich. Leute aus anderen Teilen der Welt belächelten dies gerne. Dennoch mussten auch sie zugeben, dass dieser Berg etwas Besonderes ausstrahlte. Nicht nur, weil er mitten im Flachland lag, wo er völlig deplatziert wirkte. Nein, er besaß eine fast klassisch-perfekte Form und verjüngte sich gleichmäßig bis hin zum Gipfel. Einen idealeren Berg hätte man vermutlich nicht einmal malen können. Gerade diese perfekte Erscheinung gab zu reichlich Spekulationen unter der Bevölkerung Quandalas Anlass. So munkelten einige sogar, dass dieser Berg nicht auf natürliche Weise entstanden sei, sondern vor Urzeiten von Menschenhand errichtet wurde. Natürlich war das alles Quatsch. Nach Mias Kenntnissen existierte keine Technik, mit der man auch nur annähernd so etwas hätte zustande bringen können. Nicht einmal die mächtigste Magie konnte ganze Berge erschaffen. Also doch nur eine Laune der Natur.
Aber Mia hatte die Reise zum Arjat nicht auf sich genommen, um Naturphänomene zu bestaunen. Ihre Suche brachte sie an diesen Ort: den Ort, an dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. Und wenn es eine Chance für sie geben sollte, mehr über ihre Herkunft herauszufinden und über den Mann, der sie hergebracht hatte, dann lagen die Chancen hier am besten. Das Kloster befand sich ganz oben auf dem Berg. Genauer gesagt: Es war in den Berg hineingebaut. Wie bei einer gigantischen Skulptur hatten unbekannte Baumeister Gebäude, Türme, Tore und Fensterbögen aus dem Felsen herausgeschlagen. Auch Terrassen und Balkone gab es. Zugleich erstreckten sich zahllose Hallen und Räume tief in das Innere des Berges. Sie wurden von den Mitgliedern des Ordens bewohnt und für das tägliche Training benutzt.
Das Kloster auf dem Arjat war der ursprüngliche Sitz des Bantru Vaksha, die Heimstatt des Drachens, wie einige es nannten. Gegründet vor mehr als eintausend Jahren hatten sich die Schwestern und Brüder lange Zeit nur hier aufgehalten. Doch irgendwann verbreitete sich der Pfad des Drachens in Quandala. Neugierige und vor allem immer mehr Schüler kamen. Auch die Politik gewann Interesse am Orden. Er entwickelte sich selbst zu einer nicht unbedeutenden Größe. Schließlich platzte das Kloster auf dem Arjat aus allen Nähten. Erste Außenstellen wurden in großen Städten gegründet. Weitere kamen hinzu. Mittlerweile besaß fast jede Stadt solch ein kleines Kloster. Und die Kinder des Drachens genossen überall ein hohes Ansehen. Die Zentrale lag aber weiterhin auf dem Arjat. Von hier aus wurde der Orden geleitet. Hier wurden Entscheidungen getroffen, die weitreichende Bedeutung für ganz Quandala haben konnten.
Als Mia vor fast zehn Jahren das Kloster verließ, verzichtete sie bewusst auf eine möglicherweise große Karriere im Orden. So manch einer der Oberen hatte sie ihr prophezeit. Bei ihren Fähigkeiten. Doch sie wollte Freiheit und Unabhängigkeit. Und die konnte es in solch einer Gemeinschaft nicht geben – zumindest nicht in der Weise, wie sie Freiheit definierte: tun und lassen zu können, was sie wollte, ohne immer auf Regeln und Vorschriften Rücksicht nehmen zu müssen. Danach stand ihr damals der Sinn. Und bis heute hatte sie ihre Entscheidung nicht bereut, obwohl ihr zunehmend deutlich geworden war, was sie dem Orden alles zu verdanken hatte. Ihre Ausbildung, nicht nur in Hinblick auf die Kampfkunst, sondern auch in geistigen Dingen; dazu die Entwicklung als Mensch – er hatte sie aufrecht, stolz und selbstbewusst werden lassen. Was hätte sie als Waise sonst für eine Chance gehabt in einer Gesellschaft, die nur auf Geld,
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