Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
Leckereien gab, sondern unter der Ladentheke auch spezielle Elixiere, Tinkturen und kleine Zaubereffekte. Bei den diversen Aufträgen, die sie erledigt hatte, konnte sie das eine oder andere durchaus gebrauchen. Die Erinnerung brachte Mia zum Grinsen. Zwei Häuser weiter wohnte der kleine Chang. Er besaß die Statur eines Kindes, obwohl er ein Mann von über vierzig Jahren war. Aber für seine Gabe brauchte er auch keine besondere Körperkraft. Er arbeitete nämlich viel mehr mit seinem Kopf. Chang konnte jeden Code knacken, so kompliziert er auch sein mochte. Zweimal hatte Mia schon mit ihm zusammengearbeitet und war zutiefst beeindruckt von seinen Fertigkeiten. Vermutlich gehörte er mit zu den Besten Dechiffrierern, die es überhaupt gab.
Schlagartig blieb Mia stehen. Die Worte des Übersetzers in der Großen Bibliothek hallten plötzlich in ihrem Kopf: „Könnte es vielleicht sein, dass es sich gar nicht um eine Sprache handelt?“ Keine Sprache? Was dann? Was gab es denn für eine Alternative? Nun fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Handelte es sich bei dem Text vielleicht um einen Code? Um ein verschlüsseltes Dokument? Augenblicklich war Mia hellwach. Der ganze Frust fiel von ihr ab. Frische Energie durchströmte ihren Körper. Hoffnung keimte auf. Nun konnte es weiter gehen. Ohne zu zögern wandte sie sich um und lief zu dem Haus, in dem Chang wohnte. Mit klopfendem Herzen pochte sie an die hölzerne Tür.
Wenig später öffnete sich die Tür, zunächst nur einen Spalt. Entgegen der Gewohnheit blickte Mia bewusst nach unten. Und tatsächlich erblickte sie dort das Gesicht des kleinen Chang. Der grinste von einer Backe zur anderen und riss die Tür weit auf. „Hey Mia“, rief er freudestrahlend, „dich hat man ja lange nicht mehr gesehen!“ Auch Mia freute sich, den kleinen Kerl zu sehen und tätschelte ihm freundschaftlich den Kopf. „Ich hab was für dich.“, sagte sie kurz, „Darf ich reinkommen?“
Wenig späte r saß sie bei Chang in der Stube. Alles besaß hier etwas kleinere Ausmaße als sonst üblich – zumindest wenn man normal groß war. Die Möbel hatte Chang extra anfertigen lassen. Wenigstens in seinen eigenen vier Wänden wollte er nicht ständig daran erinnert werden, dass seine Statur nicht der Normgröße entsprach. So fühlten sich seine Gäste in aller Regel etwas deplatziert, vor allem wenn sie ihm das erste Mal besuchten. Auch Mia fühlte sich wie ein Riese in diesem Reich der Winzigkeit. Ohne lange Umschweife griff sie in ihre Tasche, holte das seltsame Dokument heraus und reichte es Chang. Der legte es vor sich auf den Tisch und betrachtete es mehrere Minuten lang intensiv und ohne sich dabei zu rühren. Mia biss sich auf die Lippe und schwieg, um den Dechiffrierer nicht mit unnützen Fragen in seiner Konzentration zu stören. Wieder einmal schien die Zeit nicht verrinnen zu wollen.
Dann rührte sich Chang. Er schaute Mia an und nickte dabei. „Das krieg ich wohl hin.“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Aber ein wenig Zeit brauche ich dafür schon. Kannst du morgen früh wiederkommen? Bis dahin müsste ich den Code geknackt und entschlüsselt haben.“ Der jungen Frau fiel ein Stein vom Herzen. Am liebsten hätte sie den Knirps umarmt. Aber das passte beim besten Willen nicht zu ihrem Image hier im Viertel. Sie galt als unberührbar. Kein Mann kam an sie ran; auch kein Männlein. Und ihr war wichtig, dass sie dieses Image behielt. Sie wollte um ihrer Fähigkeiten und Leistungen willen anerkannt und beschäftigt werden und nicht, weil sie ein hübsches Gesicht und einen reizvollen Körper hatte. Also hielt sie im Privaten grundsätzlich alle Männer auf Abstand. Obwohl es ihr manchmal gar nicht so leicht fiel…
Kapitel 43
Das Wohnhaus lag friedlich da. Mia zögerte noch ein wenig, hineinzugehen und ihre Wohnung zu betreten. Was würde sie dort erwarten? Waren noch mehr Besucher gekommen? Apropos Besucher. Siedend heiß kam ihr das Scharmützel mit den beiden Schlägertypen in den Sinn, die sie kurzerhand erledigt und liegen gelassen hatte. Wenn die die ganze Zeit über dort gelegen haben... bei der Wärme. Allein schon bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um. Vielleicht war es doch nicht so vernünftig gewesen, hierher zurückzukommen. Mehrere Minuten stand sie da und rang mit sich selbst. Schließlich gewann die Neugier. Und so ging sie los.
Vor der Tür ihrer Wohnung blieb sie kurz stehen und sog die Luft um sich herum tief ein. Es
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