Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
„Gut, wir nehmen euch mit. Herr…?“ „Wie unhöflich von mir.“, gab der alte Mann zurück, „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Doran Zi. Ich bin Händler und habe wichtige geschäftliche Termine in der Hauptstadt. Wenn ich die verpasse, verliere ich womöglich wertvolle Aufträge. Und das kann ich mir ganz und gar nicht erlauben. Ihr seid wirklich meine Rettung.“ Bei diesen Worten verneigte er sich mehrmals tief von den beiden. Nun stellten sich auch Mia und Ranja kurz vor, ohne dabei wirklich etwas über sich preiszugeben. Wenig später war das Maultier mit einigen Taschen bepackt, und Doran Zi thronte etwas unsicher oben drauf.
Der ältere Herr erwies sich schon bald als überaus redselig. Eine Anekdote nach der anderen gab er zum Besten. Als Kaufmann kam er weit herum und konnte so aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Mia und Ranja nahmen es mit Humor. So hatten sie zumindest ein wenig Unterhaltung für die ansonsten eher langweilige Reise. Und irgendwie mochten sie den alten Kauz sogar ein wenig – so erfrischend naiv, wie er sich verhielt.
Schließlich erreichten sie Quandala. Der Anblick der Stadt bereits aus weiter Ferne inspirierte Doran Zi noch einmal zu einigen mehr oder weniger lustigen Begebenheiten aus seinem Leben. Als er dabei auch einige abfällige Bemerkungen über das Haus Xi-Yan machte, musste Mia grinsen. Der Alte wurde ihr immer sympathischer.
Kapitel 42
Nachdem sie die Stadt erreicht hatten, trennten sich die Wege der drei Reisenden. Doran Zi hatte Geschäfte zu erledigen und verabschiedete sich überschwänglich freundlich. Ranja zog es zum Zentrum der Beschwörer-Gilde. Dort würde er sein neues Amt aufnehmen. Und Mia schlug schnurstracks den Weg zur Großen Bibliothek ein. Sie wollte nicht länger warten. Erinnerungen kamen in ihr hoch, als sie das Gebäude erblickte – Erinnerungen an ihren letzten Besuch, als sie viel Neues über sich und ihre Vergangenheit erfahren hatte. Dinge, die sie verwirrt und völlig von der Bahn abgebracht hatten. Dinge auch, die sie in das bislang größte Abenteuer ihres Lebens gestürzt hatten.
Zielstrebig steuerte Mia auf eines der mächtigen Portale der Bibliothek zu. Als sie an den steinernen Wächtern entlang der Stufen vorbeilief, kam ihr unwillkürlich die Frage in den Sinn, ob Ranja die wohl auch zum Leben erwecken könnte. ‚Das wäre ein echtes Spektakel!‘ Ein schelmisches Lächeln zeichnete sich bei dem Gedanken in ihrem Gesicht ab. Zugleich musste sie sich eingestehen, wie positiv der Beschwörer sich entwickelt hatte. Von einer linkisch-tollpatschigen und völlig weltfremden Nervensäge zu einer Führungsperson. Und seine Fähigkeiten hatten sich ebenfalls deutlich verbessert. So manches, was sie erlebt hatte, entlockte ihr mehr als nur ein einfaches Staunen. Deshalb konnte sie sich sicher sein: Die Beschwörer-Gilde befand sich bei ihm in guten Händen.
Angekommen in der Eingangshalle ließ Mia den Raum eine Weile auf sich wirken. Auch wenn sie schon des Öfteren hier zu tun hatte, es war doch jedes Mal ein überwältigender Eindruck: die riesigen Hallen, die zahllosen Bücher und die schier endlosen Menschenmassen, die sich hindurchwälzten. Als einzelner Mensch fühlte man sich angesichts all dessen unendlich klein und unbedeutend. Und Mia ging es da nicht anders. Langsam, fast genüsslich, ließ sie den Blick schweifen und fand schließlich, was sie suchte. An einem hohen Tisch standen mehrere Personen, die in ein auffälliges helles Blau gekleidet waren: Mitarbeiter der Bibliothek, deren Aufgabe es war, den Besuchern weiterzuhelfen. Ohne Umschweife bahnte die junge Frau sich den Weg zu ihnen durch die Massen und brachte ihr Anliegen freundlich vor. Mit antrainierter Höflichkeit schickte sie eine Dame mittleren Alters in den hinteren Teil der Bibliothek. Dort waren zahlreiche Büros untergebracht, wo auch die kaiserlichen Übersetzer arbeiteten. Voller Zuversicht machte Mia sich auf den Weg.
Einige Minuten später stand sie vor einem der Gelehrten und schilderte ihm ihr Anliegen. Sofort bot er ihr einen Platz an und griff nach dem Text in der fremden Sprache. Konzentriert fuhren seine Augen über die Zeilen. Er stutzte. Noch einmal versuchte er es. Dann schüttelte er mit dem Kopf. „Verzeiht“, brachte er etwas kleinlaut hervor, „ich würde mich gerne mit einigen Kollegen besprechen. Denn offen gesagt: solch eine Sprache habe ich noch nie gesehen.“ Diese
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