Eiskalte Hand (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
roch nicht nach Verwesung. Offenbar hatte jemand die Leichen entfernt. Fragte sich nur, wer. Hoffentlich hatten die Nachbarn nicht die Stadtwache gerufen. Das käme ihr nicht wirklich entgegen – obwohl: sie hatte ja jetzt Beziehungen an höchster Stelle. Beim Gedanken an den gut aussehenden Prinzen zeichnete sich ein zweideutiges Lächeln auf ihrem Gesicht ab. ‚Also los!‘, spornte Mia sich selbst an, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Lautlos schwang die Tür auf.
Das Zimmer lag genauso vor ihr, wie sie es seiner Zeit verlassen hatte. Selbst die Kampfspuren zeichneten sich noch deutlich ab. Nur die Leichen fehlten. Ansonsten schien alles unberührt. Erleichtert atmete Mia durch. Zugleich fragte sie sich, wer die Überreste der beiden Schläger entfernt hatte – und ob jemand die Stadtwache gerufen hatte. Vorsichtig ging sie weiter in den Raum hinein und spähte in alle Ecken, innerlich bereit, auf jede Gefahr zu reagieren. Doch da lauerte nichts in der Dunkelheit. Erleichtert ließ sie sich auf einen Sessel sinken. Nun hieß es schon wieder: Warten! Wie sehr sie das doch hasste. Dennoch fiel Mia bald darauf in einen unruhigen Schlaf.
Dunkelheit umfing sie. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Die Umgebung verwischte. Konturen waberten in der Luft, Schemen tauchten auf und verschwanden wieder. Alles erschien so unwirklich, irgendwie nicht echt. Sie wollte danach greifen, hinauslangen in die Dunkelheit. Etwas zu fassen bekommen. Das Unwirkliche real machen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht. Wie Sand glitt die Unwirklichkeit durch ihre Finger, löste sich in Nichts auf, noch bevor sie sie berühren konnte. Verzweifelt griff sie immer schneller zu, schlug wild um sich. Ohne Ergebnis. Erschöpft stand sie ganz still da. Das einzige Geräusch, das sie vernahm, war ihr eigener Atem. Gehetzt. Gequält.
Ein kühler Windhauch strömte aus dem undurchdringlichen Dunkel und hüllte sie ein. Die Kälte kroch an ihr em por. Sie fröstelte.
Ein Geräusch. Ein Stöhnen. Irgendwo da draußen. Dumpf und schwer. Augenblicklich spannte sie ihre Muskeln an, ging in Kampfhaltung. Auch wenn sie keine Waffen dabei hatte, wusste sie sich zu verteidigen. Sie war selbst eine Waffe. Schnell. Präzise. Tödlich.
Wieder ertönte das Stöhnen. Diesmal von der anderen Seite. Zumindest schien es so. Rechts, links, vorne und hinten – das hatte hier wenig Bedeutung. „Wuuu Jennnnn…“ formte sich das Stöhnen zu langgezogenen Lauten. Sie zuckte zusammen, als sie ihren Geburtsnamen hörte. Lange verschüttete vage Erinnerungsfetzen bahnten sich den Weg aus den Tiefen ihres Unterbewusstseins. Doch selbst diese Gedanken hatten nichts Greifbares an sich. Alles blieb undurchsichtig, schemenhaft.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie plötzlich ein leichtes grünliches Glimmen. Wie eine mehrfach gedämpfte Laterne. Langsam näherte es sich ihrem Standpunkt. Alle Alarmglocken schrillten bei ihr. Eine Stimme in ihrem Kopf riet ihr wegzulaufen. Doch es ging nicht. Wie gebannt starrte sie auf das grüne Leuchten, das immer näher kam. „Wuuu Jennnn…“, ertönte es erneut. Und diesmal klang es lauter, deutlicher, näher. Die Quelle des Lichts schien auch der Ursprung der Stimme zu sein. Wer war das? Was war das?
In einigem Abstand stoppte das Licht. Zu weit, um Genaueres erkennen zu können. „Halte ein!“, vernahm sie wieder die gequälte Stimme. Kurzentschlossen nahm sie all ihren Mut zusammen. „Wer bist du?“, rief sie dem Licht zu. Doch das Wesen, das sich dort verbarg, ging nicht auf ihre Frage ein. Stattdessen hob es zu einer erneuten Warnung an: „Geh nicht weiter!“. Und nach einer kurzen Pause fügte es noch hinzu: „Zu gefährlich! Kehr um, solange es noch möglich ist.“
Dann verblasste das Licht.
Schweißgebadet schreckte Mia aus dem Schlaf. Was war denn das? So einen intensiven Traum hatte sie nie zuvor gehabt. Ihre Glieder schmerzten von der Anspannung. Immer noch hallte die unwirkliche Stimme in ihrem Kopf. Mit aller Kraft versuchte sie, sie wegzudrängen und beiseite zu schieben. Doch so ganz gelang es ihr nicht. „Halte ein!“ Warum sollte sie das tun? Es passte nicht zu ihr, auf halber Strecke stehen zu bleiben. Sie ging ihre Wege bis zum Ende – selbst wenn es ein bitteres Ende sein würde. Und gerade hier ging es um sie ganz persönlich, um ihre Wurzeln, um ihre Identität. Wer bin ich? Um diese Frage kreiste letztlich ihr gesamtes Denken. Wie
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