Eiskalte Versuche
Mountain.
Die Dämmerung war hereingebrochen. Jack hatte endlich den Abstieg geschafft. Ein zwei Kilometer langes Wiesental trennte ihn noch vom Hotel. Er wollte sein Lauftempo mäßigen. Jeder Muskel schmerzte, auch die Lunge tat ihm weh. Seit über einer Stunde, seit er wusste, wen die Russen als ihren Handlanger geschickt hatten, trieb ihn das Adrenalin in seinem Körper vorwärts.
Selbst als er das Hotelgelände erreicht hatte, verlangten seine Nerven, dass er weiterrannte, aber die Beine gehorchten nicht mehr. Entweder er wurde langsamer, oder er fiel um. Wenn er einmal am Boden lag, würde er nicht wieder aufstehen können.
Jack erreichte die Terrasse. Seine Angst steigerte sich. Was war, wenn er zu spät kam? Was, wenn der Habicht schon zugegriffen hatte? Er hastete die Treppe hinauf, geriet auf der zweitletzten Stufe ins Stolpern und stützte sich mit beiden Händen ab, um nicht auf dem Bauch zu landen.
Einige Gäste standen draußen und bewunderten den Sonnenuntergang. Sie sahen ihn befremdet an, als er an ihnen vorbeimarschierte. Er konnte sich vorstellen, wie er auf sie wirken musste – ein verschwitzter Wilder, der in ihre Welt eindrang. Aber wenn sein Verdacht richtig war, sollten sie weniger auf ihn achten und lieber den Gärtner fürchten. Er war der Mörder.
Jack stürmte in den Speisesaal und ließ den Blick suchend über die Gäste schweifen. Isabella war nicht da. Auch ihre Onkel fehlten. Es kann viele Gründe geben, warum sie nicht anwesend sind, versuchte er sich einzureden, während er sich seinen Weg zwischen den Tischen hindurch bahnte.
Am Empfangstresen war niemand. Nur zwei Frauen saßen in der Halle und unterhielten sich ruhig.
„Haben Sie Miss Abbott gesehen?“ fragte er atemlos.
Erschrocken durch sein plötzliches Erscheinen, blieben die Frauen stumm.
„Jack?“
Er fuhr herum. Isabella trat aus dem Büro. Zumindest glaubte er, dass sie es war. Sie sah irgendwie anders aus – frecher und verführerischer.
„Isabella?“
Sie waren beide verblüfft über das veränderte Erscheinungsbild, das sie einander boten. Isabella warf einen Blick auf seine Kleidung, dann in sein Gesicht. Es war etwas geschehen. Das wusste sie sofort.
„Was ist los?“ fragte sie und rannte zu ihm in dem Glauben, er hätte einen Unfall gehabt. „Bist du verletzt? Setz dich in den Sessel dort. Ich hole Onkel David.“
Jack fasste sie bei den Schultern. „Mir fehlt nichts. Wo ist Victor Ross?“
„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich in seinem Zimmer.“
Er nahm seinen Rucksack ab und zog eine Pistole aus der Innentasche seiner Jacke.
„Jack! Hast du den Verstand verloren? Steck die Waffe weg, oder ich sehe mich gezwungen, die Polizei zu rufen.“
„Nein, Isabella! Du musst mir vertrauen.“ Er ließ den Rucksack auf den Boden fallen. „Schließ die Terrassentüren hinter mir und halte dich von den Fenstern fern, solange ich weg bin.“
„Bist du verrückt? Ich werde nicht zulassen, dass ein bewaffneter Gast durch mein Hotel läuft. Steck die Pistole weg, oder ich hole die Polizei, das schwöre ich.“
„Die Polizei bin ich, Isabella. Ich bin vom FBI. Jetzt tust du, was ich sage, damit niemand zu Schaden kommt.“
Wie vom Blitz getroffen, erstarrte Isabella. Als sie wieder zu sich kam, war Jack schon im Speisesaal und auf dem Weg zur Terrasse. Sie sah zu den Frauen in der Halle, die offensichtlich alles mit angehört hatten.
„Bleiben Sie, wo Sie sind“, sagte sie. „Und verhalten Sie sich ruhig.“
Die beiden nickten rasch und fassten sich bei den Händen. Isabella lief in den Speisesaal. Der Raum war mehr als zur Hälfte mit Gästen gefüllt, die beim Abendessen saßen. Es war ihr unangenehm, ihnen Angst zu machen, aber noch weniger hätte sie sich verziehen, wäre einer von ihnen zu Schaden gekommen, weil sie Jacks Anweisungen nicht befolgte.
„Meine Damen und Herren, darf ich für einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten“, rief sie.
Die ungewohnte Aufforderung ließ die gleichmäßig raunenden Gespräche verstummen.
Jemand kicherte. Aus dem hintersten Saalende kam eine Stimme und fragte: „Was ist los, Isabella? Hat die Köchin den Backofen in Brand gesetzt?“
Isabella hob beide Hände und zwang sich zu einem Lächeln. Mit raschen Schritten ging sie zur Terrasse. Zum Glück war sie leer. Sie schloss die Fenstertüren und wandte sich den Gästen zu.
„Es ist notwendig, dass Sie sich alle für ein paar Minuten in die Eingangshalle begeben. Dort draußen gehen Dinge vor,
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