Eiskalte Versuche
Bank in der Gegend, sondern bevorzugen Bargeld?“
Er drehte sich herum. „Ja, Miss.“
In dem Augenblick, als sie ihm den Rücken zuwandte und zum Schreibtisch ging, löste er den Wohnungsschlüssel vom Ring und ließ ihn in seine Tasche gleiten. Die restlichen Schlüssel legte er auf einen kleinen Tisch neben der Tür. Während sie das Geld abzählte, ließ er den Blick durch die Wohnung schweifen und nahm sorgfältig die Einzelheiten in sich auf.
Als sie sich wieder zu ihm herumdrehte, betrachtete er das Gemälde neben der Tür.
„Gefällt Ihnen das Bild?“ fragte sie.
Er nickte. „Es erinnert mich an meine Heimat.“
„Sie sind auf einer Farm aufgewachsen?“
Nach kurzem Zögern nickte er. Diese Aufrichtigkeit konnte er sich leisten, ohne in Bedrängnis zu kommen.
„Was haben Sie angebaut?“
„Nichts, was zum Sattwerden gereicht hätte“, sagte er und streckte seine Hand nach dem Geld aus.
Verwirrt durch die barsche Entgegnung, drückte Isabella ihm die Scheine in die Handfläche und tätschelte seinen Arm.
„Überlegen Sie sich die Sache mit der Arbeit. Ich würde mich freuen.“
„Ich denke noch einmal darüber nach.“
Er war schon fast an der Tür, als sie ihn erneut zurückrief:
„Ach, Victor?“
Ärgerlich, weil er endlich gehen wollte, presste er die Zähne zusammen und wandte sich wieder um.
„Diese Farm war nicht in Louisiana, nehme ich an?“
„Nein, Miss. Warum fragen Sie?“
Sie zuckte mit den Achseln. „Einer unserer Gäste hat gemeint, er würde Sie kennen. Er stammt aus Louisiana; da dachte ich, es gäbe vielleicht eine Verbindung zwischen Ihnen.“
Rostow spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. Trotzdem blieb er stehen und verriet mit keiner Miene, dass die Bemerkung ihn erschüttert hatte.
„Dort war ich noch nie“, sagte er mürrisch. „Ist das alles, Miss Abbott?“
Isabella spürte, dass sie ihn durcheinander gebracht hatte, und bedauerte die arglose Frage. Viele Menschen, die heimatlos waren, schwiegen lieber, wenn es um ihre Lebensgeschichte ging. Dass er nicht ausgefragt werden mochte, verstand sie.
„Ja, Victor. Das ist alles. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“
Er nickte knapp, dann war er verschwunden.
„Seltsamer Mensch“, murmelte Isabella und schloss die Tür. Dann sah sie den Ring mit ihren Schlüsseln auf dem Tisch liegen und warf ihn in ihre Handtasche.
Victor schaffte den Weg bis zum Gärtnerschuppen ohne übertriebene Hast, obwohl er bei jedem Schritt erwartete, dass jemand ihn beim Namen rufen würde. Er sah keine Möglichkeit, wie er herausfinden sollte, von welchem Gast sie gesprochen hatte oder ob sie einen der alten Männer meinte. Das spielte keine Rolle mehr. Seine Zeit in Abbott House war vorbei. Er musste von der Bildfläche verschwinden, bevor er von Angesicht zu Angesicht einem Rächer aus der Vergangenheit gegenüberstand.
Er betastete das Geld, das Isabella ihm gegeben hatte, und schob die Scheine tiefer in seine Tasche. Der Gärtnerlohn war nichts gegen die Summe, die er besitzen würde, wenn er sie erst entführt hatte. Er war sicher, dass sie ihren Vater mit seinem Anteil an der Klinik beerbt hatte, hinzu kamen das Hotel und das Grundstück. Die alten Männer würden sofort bereit sein, für ihre Freiheit die geforderte Summe zu zahlen – nicht nur, weil Isabella ihre geliebte Ziehtochter war. Die Einträge in Frank Waltons Tagebuch besagten, dass sie der Schlüssel zu ihrem Erfolg gewesen war.
Immer der Reihe nach. Er warf seine Habseligkeiten in die Reisetasche, sorgfältig darauf achtend, nichts liegen zu lassen, was verraten könnte, dass er nicht der Mann war, für den er sich ausgab. Dann musste er einen Ort finden, an dem er sich mit Isabella verstecken konnte, bis das Lösegeld gezahlt war. Sobald er das Geld hatte, würde er ebenso unbemerkt verschwinden, wie er aufgetaucht war. Zu seiner Zeit war er der Beste gewesen. Es gab keinen Grund, von sich zu glauben, dass er seinen Biss verloren hatte. Zu dumm für Isabella Abbott, dass ihr Leben für seine Zwecke geopfert werden musste. In seinem Handwerk lautete der oberste Grundsatz: keine Spuren und keine Zeugen.
Mit seiner Tasche in der Hand schlüpfte Rostow aus dem Schuppen, drückte sich am Haus vorbei und schlich zu den Bäumen an der westlichen Grundstücksgrenze. Er blickte nur einmal zurück und vergewisserte sich, dass niemand ihn gesehen hatte. Als er im Wald verschwand, versank die Sonne eben hinter einer Felsenspitze des White
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