Eiskalte Versuche
Nummer sicher. Ihm gefielen die Fakten nicht. Durch diesen Fund änderte sich alles. Aus einer Vermutung war ein begründeter Verdacht geworden. Was bedeutete, dass er Washington benachrichtigen musste.
Jack zog das Handy aus der Tasche. Zu seinem Ärger bekam er kein Netz. Im Geist ging er die Einzelheiten durch, die er bisher hatte herausfinden können. Viele waren es nicht. Er hastete weiter den White Mountain hinunter und hoffte, dass er seine vorgesetzte Dienststelle bald erreichte.
Als er unter einem Dach aus Baumkronen hervortrat, stieß unmittelbar vor ihm ein Vogel in steilem Flug nach unten. Er erkannte nicht, was es für einer war, aber die Geschwindigkeit und die Größe ließen auf einen Falken schließen. Falken waren gute Jäger.
Jack warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war beinahe fünf Uhr. In ungefähr einer Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen. Er hatte keine Lust, auf dem White Mountain von der Nacht überrascht zu werden, und schritt kräftiger aus.
Zu seiner Linken sah er einen Federhaufen. Der Falke hatte seine Beute gemacht. Sekunden nach diesem Gedanken war die Erinnerung da. Sein Herz stockte.
Habicht! Nicht Falke. Oh Gott … das war das Wort, das ihm nicht hatte einfallen wollen, seit er Victor Ross gesehen hatte.
In den sechziger Jahren hatte es einen berüchtigten sowjetischen Spion gegeben, bekannt als der Habicht. Der Mann war skrupellos. Im Rahmen einer Säuberungskampagne seiner Regierung waren ihm viele Menschen zum Opfer gefallen, auch zehn amerikanische Geheimagenten. Wie er zu dem Beinamen gekommen war, blieb bis heute eine ungelöste Frage. Damals hatte es nur ein Foto von ihm gegeben, aufgenommen auf einem französischen Flughafen. Die Aufnahme war unscharf und körnig, aber seine slawischen Gesichtszüge mit den hervortretenden Wangenknochen waren auffallend und wie Fingerabdrücke unverwechselbar.
Jacks Magen drehte sich um. Hatte er Recht, und Victor Ross war tatsächlich der Habicht, besaß dieser Fall eine Größenordnung, mit der niemand bei den an der Aufklärung beteiligten Stellen gerechnet hatte. Jack zurrte die Rucksackträger fester und begann zu rennen.
David Schultz trank einen Schluck Kaffee, dann nahm er die Ergebnisse ihrer letzten Labortests und die Liste der Blutwerte zur Hand, die sie eben bei den Silvias bestimmt hatten. Die Erstuntersuchung war viel versprechend verlaufen, besser als erwartet. Vor Jahren hatte Maria an Endiometriose gelitten, aber die Vernarbungen waren nur geringfügig und stellten kein Hindernis für eine Implantation dar. David lehnte sich in seinem Sessel zurück und lächelte beim Weiterlesen in sich hinein. Die Sache lief immer besser. Maria war neununddreißig Jahre alt, erfreute sich bester Gesundheit und achtete auf eine vernünftige Lebensweise, falls stimmte, was sie über ausgewogene Ernährung und regelmäßige Gymnastik sagte. Die Familiengeschichte überzeugte weniger. Beide Eltern waren früh gestorben, an einem Herzinfarkt. Maria jedoch schien dafür Sorge zu tragen, dass ihr dieses Schicksal erspart blieb.
Er trank noch einen Schluck aus seiner Kaffeetasse, lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück und überdachte noch einmal die Vorgehensweise. Er würde vorschlagen, dass Maria sich übermorgen in die Klinik begab, wo die Tätigkeit ihrer Eierstöcke angeregt und die reifen Eizellen geerntet würden. Leonardo würde sein Sperma abgeben, und dann konnte die Arbeit beginnen. Heute Abend wusste er, ob Rufus aus den Knochen eine ausreichende Menge an verwertbarer DNA gewinnen konnte. Was Maria und Leonardo Silvia bis dahin taten, war ihre Sache.
Auf dem Weg nach Hause betrachtete sich Isabella immer wieder im Rückspiegel. Die neue Frisur hatte sie deutlich verändert, auch wenn ihr Gesicht gleich geblieben war. Ihre langen glatten Haare, die sie seit dem Eintritt ins Erwachsenenalter schwungvoll nach hinten gekämmt trug, waren in unregelmäßigen Stufen auf Kinnlänge gekürzt. Das ergab einen frechen und zerwühlt aussehenden Look, von dem Isabella noch nicht wusste, ob er ihr gefiel. Irgendwie sah sie aus, als hätte sie nach dem Aufstehen vergessen, sich zu kämmen. Durch die halb geöffnete Scheibe wehte der Fahrtwind, fuhr zwischen die Haarsträhnen und verwirbelte sie zu einer wilden Mähne. Je weiter Isabella fuhr, desto freier fühlte sie sich. Der neue Schnitt bedeutete auch, dass die Vergangenheit hinter ihr lag. Ein Teil ihrer früheren Persönlichkeit war mit ihrem Vater und mit Onkel
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