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Eiskaltes Herz

Eiskaltes Herz

Titel: Eiskaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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entdeckte ich Leander und Moritz.
    »Da vorn.« Ich zeigte in ihre Richtung. Meine Stimme klang merkwürdig brüchig. Wo war Vanessa?
    »Los, komm.« Tine zog mich am Arm. »Augen zu und durch. Sei ganz cool und locker. Das sind doch auch deine Freunde, lass dich nicht von Vanessa vertreiben.«
    Ich nickte stumm und setzte mich in Bewegung.
    »Ihr Jungfern«, brüllte es von rechts. Der alberne Heini in seiner Henkerskluft. Er versuchte offenbar, seiner Stimme den marktschreierischen Sound des Mittelalters zu verpassen.
    »Wollt ihr euch wirklich zu den tanzenden Hexen gesellen? Auf Hexerei steht der Tod auf dem Scheiterhaufen!« Er deutete auf die Feuer und die Strohpuppe. »Und dort wartet schon eine arme Ketzerin auf ihr Schicksal.«
    Tine beäugte sein Lederoutfit und die nackten Beine. »Bist du jetzt Pornostar, oder was?«, fragte sie.
    Wir lachten los.
    »Den kenne ich, der geht in die Klasse von meinem Bruder«, sagte sie zu mir.
    »Und was hat das Beil mit Walpurgisnacht zu tun?«, fragte ich.
    Tine kicherte, wir liefen weiter.
    »Lacht nur, ihr Jungfern«, schrie uns der Typ hinterher. »Seid heute Nacht auf der Hut, dass der Teufel nicht mit euch davonreitet.«
    Wir rannten jetzt und hielten uns die Seiten, weil wir immer noch gackerten. Was für ein Spinner! Julia und Nadine hatten uns entdeckt und winkten, Moritz nickte uns zu, jemand rief »Huhu, Lena!« und das Beste von allem – Leander drehte sich um und lächelte mich an. Vanessa war nirgends zu sehen. Es war, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht, Adrenalin rauschte mir durch den Körper und plötzlich erschien mir alles ganz einfach. Warum hatte ich mich so unterbuttern lassen? Was glaubte Vanessa eigentlich, wer sie war? Ich sah gut aus, ich hatte einen schrägen Humor, auf den Leander stand, ich war clever und fantasievoll und beliebt und ich setzte mich jetzt einfach neben ihn und lachte ihn an. »Na?«, sagte ich.
    »Na?«, fragte er zurück. Seine Hand näherte sich auf einmal meinem Gesicht und machte an meiner Kette halt. »Neu?«, fragte er.
    »Kann meine alte leider nicht mehr finden«, log ich. Ich wusste ja ganz genau, wo sie war. Sie lag immer noch unter seinem Bett.
    »Sieht gut aus.«
    »Danke.« Ich gab mir einen Ruck. »Wo ist denn Vanessa?«
    Statt einer Antwort deutete er in Richtung Wald. Dort stand Vanessa mit einem Jungen, den ich noch nie an unserer Schule gesehen hatte. Er schien ihr irgendwas zu zeigen und legte dabei den Arm um sie.
    »Aha«, sagte ich nur.
    »Und? Was macht Mathilde?« Er grinste mich an.
    Mathilde war meine Schildkröte, von der Leander stets behauptet hatte, sie sei schon längst tot und ich hätte es nur noch nicht gemerkt. »Lebt noch«, erwiderte ich und grinste zurück.
    »Glaub ich nicht. Bist du sicher?«
    »Ganz sicher.«
    So einfach war das. Wir fingen an zu reden, als wäre nichts passiert. Es war wirklich fast wie früher, nur mit dem Unterschied, dass wir uns nicht berührten und dass dafür Gregor und Tine wie wild knutschten. Einmal sah Tine kurz mit seligem Blick zu mir hinüber, Nadine und Julia machten mir irgendwelche Zeichen und kicherten, Sarah und Moritz stritten sich wie immer, diesmal ging es darum, ob sie am nächsten Tag zum Geburtstag ihrer Oma gehen sollten oder nicht. Wie ein altes Ehepaar. Wie eh und je. Vanessa blieb verschwunden beziehungsweise ich konnte sie ab und zu irgendwo herumstolzieren sehen, aber sie sah kein einziges Mal zu uns, und obwohl Leanders Blick gelegentlich zu ihr flackerte, blieb er stoisch sitzen. Chris, der Sänger von den Gargoyles, tauchte auf und fing an, Gitarre zu spielen. Hauptsächlich Blues und Lagerfeuersongsund dann einmal auch eine akustische Version von Weeks . Ich war so glücklich, dass ich gar nicht mehr aufhörte zu strahlen. Ich fühlte mich großartig, ich brauchte keinen Alkohol, ich brauchte nichts zu essen, ich brauchte gar nichts, ich hatte alles, was ich wollte. Fast alles.
    »Traust du dich?«, fragte Leander mich auf einmal. Er deutete auf das kleinere Feuer, das mittlerweile heruntergebrannt war. Ein paar Leute nahmen dort Anlauf und sprangen über die Glut.
    Ich schnappte erschrocken nach Luft. »In Sandalen?«
    »Wo ist denn die Lena hin, die tote Mäuse entsorgt und über Felsen klettert, hm?« Er stand auf. Hielt mir seine Hand hin. »Los komm.«
    Die Maus. Ja, ich hatte mal eine tote Maus im Keller gefunden und zu Leanders absoluter Begeisterung einfach am Schwanz gepackt und in den Müll geschmissen. Ich stand wie

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