Eiskaltes Herz
Konnte es eine bessere Neuigkeit geben?
»Nein, also sie hat nur gesagt: Dann geh halt wieder zurück zu Psycho-Lena.«
»Wie?«, fragte ich perplex. Dann dämmerte es mir. Psycho-Lena – das sollte ich sein? »Wie nennt die mich?«
»Psycho«, erwiderte Tine kleinlaut. »So nennen dich ein paar andere auch.«
»Was?« Blut schoss mir vor Scham in den Kopf, gleichzeitig wallte Empörung in mir hoch. »Spinnt die?«
»Es ist, weil … Ich hab es dir ja gestern schon gesagt. Du musst mal ein bisschen aufpassen, was du so über Nessa erzählst. Du hörst dich echt ein bisschen irre an, Lena. Dass sie 'ne Hexe ist, die du verbrennen willst und so.«
»So ein …« Ich verstummte. Sarah, diese blöde Ziege! »Tine, das war ein Witz, das hab ich gestern zu Sarah gesagt. Die hat so viel Humor wie eine Kartoffel, das weißt du doch selbst.«
»Ja, ich weiß. Aber Leander hat es auch bestätigt. Dass du dir wünschst, sie wäre tot oder so was.«
»Ich wünschte, es gäbe keine Vanessa, habe ich gesagt. Das ist ja wohl was anderes.« Herrgott noch mal!
»Aber es kommt doch auf dasselbe raus. Und Vanessa hat erzählt, dass du ihre Klamotten versaut hast, dass du dich bei Leander ins Haus geschlichen hast und dass du sie stalkst.«
Ich lachte. Es fing als hysterisches Gurgeln an, rollte meinen Hals hoch und brach als ein Gemisch aus Gelächter und Schluchzen aus mir raus. Ich konnte mein Spiegelbild in der Fensterscheibe sehen. Die Wimperntusche leicht verschmiert, weil ich in letzter Zeit so oft heulte, die Haare wild, das Gesicht bleich, die Augen aufgerissen, einen verzweifelten Zug um den Mund. Ich sah komplett irre aus. Kein Wunder, dass sie sich über mich lustig machten. Ich musste mich zusammenreißen, Tine hatte recht.
»… sie hat noch Witze gemacht, dass sie dir über ihren Vater einen guten Psychodoktor besorgen kann und so«, berichtete Tine unterdessen weiter. »Da hat Leander dann gesagt, sie soll aufhören.«
Na bitte. »Und dann?«
»Na ja, so ein Typ hat rumgeulkt, dass er ihr Bodyguard sein könnte, falls du sie attackierst, und sie meinte, dass sie mal lieber Karate lernen sollte und … ach, das willst du gar nicht wissen.«
Ich wollte schon wieder davon anfangen, was füreine widerliche Kuh Vanessa war, aber ich riss mich zusammen.
»Und Leander? Haben sie sich wieder vertragen?«
»Nicht so richtig. Er war irgendwie den ganzen Abend ein bisschen angepisst und ist eher gegangen.«
Meine Laune besserte sich schlagartig. Zwischen den beiden herrschte miese Stimmung. Immer noch, wie es aussah. »Tine, du musst am Freitag mit zur Walpurgisnacht kommen. Versprichst du mir das?«
»Klar.« Sie kicherte jetzt. »Aber nur, wenn du keine Dummheiten machst.«
»Dummheiten?«
»Na ja. Vanessa stalken und so weiter. Du weißt schon.«
»Natürlich nicht.«
»Gregor kommt auch.«
Ach ja, ich hatte sie noch gar nicht nach ihm gefragt … Was war ich nur für eine Freundin? »Toll. Wie ist es denn gelaufen?«
Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als sie mir von Gregor vorschwärmte.
Leander und Vanessa hatten sich gestritten. Ich würde ihn mir zurückholen. Vanessa würde sich noch umgucken.
8
April
Ein orangefarbener Schimmer flackerte schon von Weitem über der Lichtung an den Hexenfelsen und je näher man kam, desto lauter hörte man auch das Grölen und Lachen, das Flaschenklirren und die Musik. Die Luft war lau und roch nach verbranntem Holz, nach Gras, nach Gegrilltem. Von vorn am Waldrand erklang der leiernde Gesang irgendeiner mittelalterlichen Spielmannsgruppe. Um sie herum tanzten Leute, die als Hexen, Teufel oder undefinierbare Monster verkleidet waren. Ich traute meinen Augen kaum, das artete hier ja richtig zu einem Volksfest aus.
»Wer hat die denn eingeladen?«, fragte Tine entgeistert.
Einer schwenkte ein Beil. Er trug eine Art Henkersoutfit, mit schwarzer Kapuze und schwarzem Lederwams, und erschreckte Mädchen, die quiekend davonrannten.
»Die haben sich selbst eingeladen, denk ich mal.«
Wir blieben kurz stehen und schnappten nach Luft, denn der Anstieg hoch auf den Berg war ziemlich steil.
»Siehst du jemanden von uns?«, fragte Tine.
Ich blinzelte angestrengt. Es gab sogar zwei Feuer auf der Wiese, ein großes und ein kleines. Überall lungerten Grüppchen von Jugendlichen herum und in der Mitte der Wiese lehnte eine fast zwei Meter große Strohpuppe an einem Pfahl. Ich erkannte Julia und Nadine, sie standen bei einer Gruppe von Leuten. Als Julia zur Seite trat,
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