Eiskaltes Herz
»entsorgen«, Wollmütze machte da aber nicht mit, er war auf Bewährung draußen oder so. Jedenfalls ist das Ganze eskaliert und Wollmütze hat den Albino gegen die Wand gestoßen, dass dieser mit dem Kopf an den Türrahmen geknallt ist. Danach ist er einfach abgehauen und Leander nutzte die Gunst der Stunde und rannte ebenfalls weg, noch bevor der Albino sich wieder richtig hochgerappelthatte. Das war es, was der Skarabäus am Telefon erfahren hatte. Die Polizei hat ihn trotzdem geschnappt, Wollmütze aber noch nicht. Da ich ihm Leander verdanke, ist es mir auch egal.
Leander beugt sich vor und gibt mir einen Kuss, der nach Eiskaffee schmeckt. Er hat mich jeden Tag besucht, erst im Krankenhaus, dann zu Hause. Er will nichts sehnlicher, als dass wir wieder da weitermachen, wo wir waren, bevor Vanessa in unser Leben brach. Und auch ich will nichts mehr als das. Aber es geht nicht.
»Das habe ich dir noch gar nicht erzählt«, sagt er jetzt. »Gregor hat einen Kontakt mit einem Musikproduzenten von Vulcano aufgenommen. Das ist so ein Independent-Label. Die wollen ein Album mit uns machen. Und mit einem Song haben wir es schon in die lokalen Radiostationen geschafft. Rate mal, mit welchem?«
»Weeks?«
Er grinst. »Du weißt eben alles.«
Ich lächele zurück. Es ist ja auch mein Lied. War mein Lied. Zwischendrin war es mal das von Vanessa. Und nun soll es wieder meins sein. So einfach ist das. Oder? Als ich neulich bei Leander war, habe ich ihr Bild gefunden. Versteckt zwischen zwei Büchern auf dem Nachttisch. Er will mich nicht kränken. Und doch ist es da, ich hab es gesehen und ich kann es nicht vergessen. Ich werde Vanessa nie vergessen können und er auch nicht, aber aus anderen Gründen.
Ein Mädchen geht vorbei, im ersten Moment halte ich erschrocken die Luft an. Sie sieht aus wie Vanessa. Nein, sie hat grüne Augen und etwas hellere Haare, aber sonst … Leander sieht sie auch und einen Moment lang verkrampft sich seine Hand, die meine hält, er starrt ihr hinterher und in diesem Augenblick ist so ein verzweifelter Ausdruck in seinem Gesicht, so eine Sehnsucht, dass mir allein von dem Anblick ein Schauer über den Rücken rieselt. Und genau das ist der Punkt. Es wird nie vorbei sein. Trotz allem, was passiert ist. Trotz allem, was sie ihm angetan hat. Vanessa wird immer zwischen uns stehen, egal, wie viel Zeit vergeht. Wäre sie noch da, könnte er sie irgendwann vergessen. Sie würde alt werden wie der Rest von uns, Kinder bekommen, irgendwo arbeiten. So aber bleibt sie immer jung. Und unerreichbar. Die Erinnerung an sie wird sich jedes Mal dazwischendrängen, wenn wir uns küssen, wenn wir miteinander schlafen, reden, essen, trinken, herumalbern. Sie wird schleichen und kriechen wie ein unsichtbarer Virus, der Leander zu jeder Tages- und Nachtzeit befallen kann. Und ich will nicht mein Leben lang mit einer Toten verglichen werden. Ich ziehe meine Hand weg.
»Was ist denn?«, fragt er, aber in seinen Augen kann ich es erkennen: Er weiß Bescheid. Er kennt mich so gut und ich kenne ihn so gut, wir können uns nichts vormachen. Trotzdem kämpft er mit den Tränen, als ich es ihm sage. Dann nickt er.
»Habt ihr noch einen Wunsch?«, fragt uns diejunge Kellnerin, die an unseren Tisch tritt. Sie ist niedlich und nett und kaum älter als wir. Vielleicht kann sie Leanders Dämonen vertreiben.
»Danke, nein«, sage ich. Es stimmt nicht ganz. Ich habe viele Wünsche. Einer davon ist, dass wir wirklich Freunde bleiben, Leander und ich. Ich weiß nicht, ob das möglich sein wird. Meistens ist so etwas ja nicht möglich. Seit mit Sarah und Moritz Schluss ist, hassen sie sich. Leander steht auf, schiebt sich mit dieser unwiderstehlichen Geste eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beugt sich zu mir runter.
»Danke für alles«, flüstert er. Und geht.
»Bring mir euer Album, wenn es rauskommt«, rufe ich ihm hinterher.
Er nickt, dreht sich aber nicht um.
Mein Herz und mein Kopf sind leer, ich rühre in der mittlerweile warmen milchkaffeebraunen Pampe, die mal mein Mocca-Eis war. Gestern ist Tine mit Nadine nach Kalifornien geflogen. Aber auch das habe ich überlebt. Wie heißt es doch so schön? What doesn't kill you makes you stronger.
Etwas klingelt. Ich sehe hoch. Vor mir steht Ben. Er sieht irgendwie erwachsener aus, seine Spange ist weg und seine Haare sind kurz geschnitten. Er lehnt ein teuer aussehendes Mountainbike an das Geländer neben dem Café.
»Na«, sagt er. »Ich hab schon gehört, dass sie
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