Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Sohnes?«
»Das Mädchen hat einfach nicht seine Kragenweite. Kommt nicht gerade aus gutem Hause. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Die Beamtin zieht die Augenbrauen hoch.
»Die Familie wohnt im Schmidt-Rottluff-Weg«, sagt die Frau und kuckt die Beamtin an, als würde das doch jetzt aber bitte schön als Grund genügen.
»Wo wohnen Sie denn?«
»Wir wohnen in der Wohlers Allee.«
Schick.
»Schick«, sagt die Beamtin, die Frau registriert es, reagiert aber nicht darauf.
»Haben Sie mit der Freundin Ihres Sohnes gesprochen? Ist er da vielleicht aufgetaucht?«
»Ich hab bei Angel angerufen«, sagt Larissa. Ihre Mutter kuckt sparsam. »Angel ist auch verschwunden.«
»Angel?«, fragt die Beamtin. »Ist das die Freundin deines Bruders?«
»Sie heißt Angela«, sagt Larissas Mutter.
»Könnte es sein, dass die beiden zusammen abgehauen sind?«, frage ich.
Die Frau schüttelt den Kopf. »Das würde Yannick uns nicht antun.«
»Was glaubst du denn?« Ich sehe Larissa an. »Sind dein Bruder und seine Freundin auf und davon?«
Larissa kuckt erst auf den Fußboden, dann kuckt sie mich bockig an, dann ihre Mutter, dann sagt sie:
»Nö. Wozu auch? Ist doch alles cool hier.«
Ich traue Larissa nicht weiter, als ich sie werfen kann. Ich wüsste gerne, warum sie so nervös ist.
»Und die Eltern von Angel?«, frage ich sie. »Machen die sich keine Sorgen?«
Larissa zuckt mit den Schultern.
»Die saufen immer nur und glotzen Talkshows.«
»Haben Sie ein Foto von Ihrem Sohn dabei?«, fragt die Beamtin.
Die Frau holt ein großes schwarzes Notizbuch aus ihrer Handtasche. Zwischen den Seiten liegt ein Foto von einem schlaksigen, ziemlich hübschen Jungen mit hellbraunen, halblangen Haaren und einem kantigen, erwachsenen Kinn.
»Das war im Sommer vor zwei Jahren«, sagt sie.
Der Junge lehnt an einem alten braunen Porsche und kuckt einigermaßen zornig in die Kamera.
»Ein aktuelleres habe ich leider nicht.«
Soweit ich weiß, fotografieren Eltern ihre Kinder in einer Tour. Aber vielleicht ändert sich das auch, wenn die Kinder älter werden. Und bockig.
»Wir bräuchten dann noch die Mobilnummer Ihres Sohnes. Vielleicht können wir ihn so ja ganz schnell finden. Er hat doch ein Telefon, oder?«
Die Frau nickt.
»Und natürlich Ihre Personalien, bitte«, sagt die Beamtin. »Und auch die Namen der Eltern von Angela, wenn Sie die kennen.«
Die Frau verzieht das Gesicht zu einer verächtlichen Fratze, und das ist echt schlimm, wie sie das macht. Verachtung ist ein hässlicher Zug.
»Ich geh mal wieder ins Karolinenviertel«, sage ich. »Noch ein bisschen mit den Obdachlosen reden.«
Die Beamtin schaut mich leicht genervt an. Stört mich jetzt nicht. Wichtiger ist mir, wie mich Larissa anschaut, als ich das sage.
Sie sieht aus, als hätte ich eine Bombe hochgehen lassen.
Und sie kaut wie eine Irre auf ihrer Unterlippe. Die Unterlippe fängt an zu bluten, sie ist an einer kleinen Stelle in der Mitte aufgegangen.
»Wir sehen uns«, sage ich zu den Kollegen und hebe die Hand, und Larissa schaut mir nach, als ich durch die Tür nach draußen gehe, und ich sehe ihr an, dass sie mir am liebsten hinterhersprinten würde.
Wir sehen uns noch, Mädchen, verlass dich drauf.
*
Ich warte eine gute halbe Stunde, dann rufe ich auf der Lerchenstraßenwache an und lasse mir von der Kollegin die Adresse von Larissas Familie geben. Caspar und Liliane von Heesen wohnen mit ihren beiden Kindern in einem Einfamilienhaus in der Wohlers Allee. Die Eltern von Angel, Frank und Susann Kober, wohnen mit vier Kindern im Schmidt-Rottluff-Weg in einer Sozialwohnung. Harte Ecke.
»Was machen Sie jetzt?«, frage ich die Kollegin.
»Wir setzen erst mal drei zusätzliche Fußstreifen ein, die die Augen offen halten«, sagt sie. »Und zwei Kollegen sind auf dem Weg zu den Eltern von dieser Angel. Außerdem versuchen wir, die beiden über ihre Telefone zu orten. Kann doch gut sein, dass die nur irgendwo rumlungern und Bonnie und Clyde spielen und keine Lust haben, nach Hause zu gehen.«
Ich bin mir da nicht so sicher. Aber jetzt direkt eine Hundertschaft durchs Viertel zu jagen, die die Dachböden auseinandernimmt und alle Leute aufscheucht, halte ich auch für ein bisschen übertrieben.
»Ich würde mir gerne die Zimmer von Yannick und Larissa von Heesen anschauen«, sage ich. »Ist das für Sie in Ordnung?«
»Vollkommen in Ordnung. Super, wenn Sie das übernehmen.«
Puh. Das wäre also endgültig geklärt.
*
Liliane von Heesen
Weitere Kostenlose Bücher