Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Laden ein halbtoter Mensch gelegen hat. Er wird überrascht sein, wenn die Polizei mit ihm reden will. Falls die Polizei mit ihm reden will. Im Moment wirken die Kollegen nicht so, als wäre das hier ein Fall, der Priorität hat. Ein Obdachloser liegt bewusstlos in der Gegend rum. Ist ja nicht so, als wäre das besonders ungewöhnlich.
Ich bin mir da nicht so sicher. Es schwebte ein Grauen über der Treppe. Wie ein kaum sichtbarer, böser Schatten. Und ich verstehe die nackten Füße nicht. Diese Jungs laufen bei dem Wetter doch nicht ohne Schuhe rum. Die haben vielleicht kein Zuhause, und die meisten trinken auch zu viel, aber die sind nicht doof.
Jetzt sperren sie die Treppe erst mal kurz ab, zwei Kripokollegen in weißen Overalls suchen nach Hinweisen, nach ein paar Spuren, aber letztlich heben sie nur sämtlichen Müll auf, der die Stufen bedeckt. Zigarettenkippen, Glasscherben, Pappbecher. Polizeistaubsauger. Schön ist das nicht. Als sie anfangen, die Treppe zu putzen, gehe ich. Ich will zu Carla, jetzt erst recht.
Ich laufe durch die Glashüttenstraße zurück zum Heiligengeistfeld. Da ist der schnelle Wind wieder, er treibt ein paar einzelne Sonnenstrahlen vor sich her.
Und meinen Kollegen Inceman.
Ich erkenne ihn von weitem.
Wie alle besonders langbeinigen Männer hat er eine spezielle Art zu rennen. In Sportklamotten verstärkt sich das noch. Der Inceman sieht aus wie ein teures Turnierpferd, wie er mir da so über den Platz entgegensprintet.
»Komischer Ort zum Sport machen«, sage ich, als wir auf gleicher Höhe sind.
»Ich finde das perfekt hier«, sagt er und tänzelt noch kurz, dann hält er an.
Er steht vor mir und dampft. Dunkel und nass. Auf seinen schwarzen Augenbrauen hat sich Feuchtigkeit gesammelt, hin und wieder fällt ein kleiner Tropfen auf seine meterlangen Wimpern. Diese Augen können einen echt in die Hölle ziehen. Seine Lippen sitzen wie gemeißelt, zu allem entschlossen. Manchmal hab ich das Gefühl, ich muss den schönen Türken nur ansehen, schon bin ich verloren.
»Geh heute Abend mit mir aus«, sagt er.
Er steht ganz still, und von dem vielen Dampf, den er verbreitet, wird mir schwindelig. Und neben uns steht dieser ewige Hochbunker, das düstere, sich in den Hamburger Himmel bohrende Geschoss, über siebzig Meter breit, fast vierzig Meter hoch, ein blöder Fingerzeig der Apokalypse, den kann ich eh nicht gut ab, der macht mich eh schwach.
»Ich geh nicht mit dir aus«, sage ich.
»Ich kann warten«, sagt er.
Ich schüttele den Kopf und muss lachen.
»Lach nicht. Ich meine es ernst.«
Ich weiß. Es geht um Liebe. Und genau das ist nichts für mich.
»Lauf weiter«, sage ich.
Er umrundet mich einmal, und dann läuft er Richtung Karoviertel, er läuft rückwärts und behält mich im Blick, sieht, wie ich ihm nachschaue, meine Augen sind noch in seinen Dampf gehüllt. Dann dreht er sich um und gibt Gas. Hoppi Galoppi. Turnierpferd, sag ich doch.
*
Bei Carla ist nicht viel los. Vormittagsruhe. Die Frühstücker sind weg, die Mittagsleute noch nicht da. Carla steht hinterm Tresen und macht mir einen Kaffee, und ich muss die ganze Zeit grinsen. Sie hat einen Pullover an, einen richtigen, aus Wolle. Sie hat nie Wolle an, zumindest nicht so viel am Stück. Meine portugiesische Freundin ist die Frau ohne Kälterezeptoren. Kann auch mitten im Winter in einem dünnen Kleidchen überleben.
»Warum grinst du so?«, fragt sie. Grinst selber.
»Du hast einen Pullover an«, sage ich.
Carla macht ein empörtes Gesicht und sagt: »Du auch.«
Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
»Ich find’s einfach gerade muckeliger so«, sagt sie.
»Was ist los?«, frage ich. »Wirst du alt?«
Jetzt zieht sie die Augenbrauen hoch. Sie stellt mir ein Glas mit Kaffee hin und ein Kännchen mit heißer Milch.
»Hörnchen dazu?«
»Ja, bitte«, sage ich. »Und einen Rollkragen für meine Freundin.«
»Hör mal«, sagt sie, »sollte ich jemals nach einem Rollkragen verlangen, kannst du mir dazu auch gleich einen Roll stuhl besorgen.«
Sie hat recht. Ein Rollkragen an Carla ist eine bizarre Vorstellung. Das wäre eine Vorschau aufs Ende. Ihr Pulli mag aus Wolle sein, aber er hat einen echt unseriösen Ausschnitt und zeigt sehr deutlich, dass es sich hier um eine einigermaßen junge Frau handelt. Und dass alles da ist, wo es hingehört.
»Ach nee«, sagt sie, »kuck mal, wer da kommt.«
Ich drehe den Kopf zur Tür. Der Faller.
»Was macht der denn hier?«
»Überraschung«, sagt
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