Eisnattern: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
habe mir vorgenommen, nichts dazu zu sagen, und ich weiß, dass Klatsche sich das erstens verbittet und zweitens erwartet, dass ich ihm vertraue. Ich weiß ja im Grunde auch, dass ich mir keine Sorgen machen muss. Der baut schon keinen Scheiß. Das wird schon alles gutgehen. Er ist nicht nur mein Nachbar und Irgendwiefreund, er ist auch ein richtig cooler Macker. Und mit den kleinen Kiezkneipen ist es wie mit den kleinen Brücken: Man muss sie nehmen, wie sie sind. Die Blaue Nacht war schon immer ein Verbrecherloch. Da hingen schon immer undurchsichtige Typen rum. Klatsche ist nicht undurchsichtig. Er schmeißt nur nicht gern jemanden raus. Und er weiß, dass man manche Leute auch nicht rausschmeißen sollte, wenn man im Milieu in Frieden Geschäfte machen möchte.
Es wird nichts passieren. »Ich hab Urlaub«, sage ich.
»Geil, wir fahren weg!«
Klatsche will immer mit mir wegfahren. So wie wir damals im Sommer weggefahren sind. Da waren wir zusammen in Glasgow. Das war schon nicht schlecht. Hab gar nicht gemerkt, dass ich Urlaub habe. Ich ziehe an meiner Zigarette. Vielleicht sollten wir wirklich abhauen. Ist ja nicht so, als hätte die ganze Stadt nur darauf gewartet, dass ich spazieren gehe. Ob ich das jetzt mache oder am Hafen eine Ratte ins Wasser fällt. Juckt keinen.
»Können wir ja heute Abend mal drüber reden«, sage ich.
»Kommst du in die Blaue Nacht? «, fragt er.
Ich nicke und lege auf. Mir wird kalt. Ich mache mich auf den Weg zurück durch die Marktstraße. Vielleicht trinke ich da vorne an der Ecke einen Kaffee. Bei diesem lauten Italiener. Der Calabretta sagt immer, dass die Typen zwar nerven, aber einen guten Kaffee machen. Vielleicht gehe ich auch einfach weiter und drehe eine Runde durchs Portugiesenviertel, Carla besuchen. Ich hab sie schon seit Tagen nicht mehr gesehen, weiß gar nicht, wie’s ihr geht. Früher haben wir oft telefoniert. Ein paarmal am Tag. Aber Carla hat ihr Mobiltelefon abgeschafft. Sie sagt, die Welt ist ihr zu digital geworden. Sie sagt, sie ist ein analoger Mensch, und sie versteht das alles nicht mehr. Sie will das nicht mehr. Ich finde das nachvollziehbar, aber ein bisschen leichtsinnig. Sie hat ja in ihrem Café keinen Festnetzanschluss. Sie kann keine Hilfe holen, wenn was ist. Und es war ja schon mal was, damals im Keller. Okay, die beiden Vergewaltiger sitzen im Knast, aber das sind ja nicht die Einzigen, die ihr gefährlich werden könnten. Ich sage ihr dauernd, dass das nicht klug ist, eine Frau in einem Laden ohne Telefon. Sie hört nicht auf mich. Sie hört ja nie auf irgendwen.
Ich überquere die Turnerstraße und vermeide es, in das Schaufenster mit den übertriebenen Anzügen zu kucken. Der Laden brummt seit Jahren wie verrückt, aber ich frage mich immer wieder, welcher ernstzunehmende Mann so einen ultraschmalen, bunten Pussyscheiß tragen soll. Entschuldigung: Da kann man sich doch gleich die Eier abschneiden.
*
Zuerst sehe ich nur einen Mantel, dann nackte, schmutzige Füße. Der Mann liegt auf einer Treppe zum Souterrain. Er liegt zusammengewickelt vor einer dicken Metalltür, wie ein Haufen liegt er da, als wäre er einfach ausgekippt worden. Ich gehe zu dem Mann runter, setze mich auf die Stufen und ziehe vorsichtig den Mantel zur Seite. Sein Gesicht ist voller Patina. Und es ist hemmungslos zerschlagen worden. Überall Blut und Schwellungen. Ich suche nach seiner Hand, finde einen von der Straße geschundenen Klumpen und tatsächlich einen Puls. Der Mann lebt. Ein bisschen lebt er noch. Ich traue mich nicht, ihn zu bewegen, wer weiß, wo er noch überall blutet. Jetzt keinen Fehler machen. Ich steige schnell zurück auf die Straße, kucke, ob jemand in der Nähe ist, der mir helfen kann. Aber da ist keiner. Das Karolinenviertel macht erst gegen Mittag auf. Ich rufe die Kollegen vom Polizeikommissariat 16 an und sage, dass wir einen Krankenwagen brauchen.
*
Das sah nicht gut aus. Die Sanitäter und der Notarzt haben die Augenbrauen hochgezogen und die Köpfe geschüttelt, als sie den Mann in den Krankenwagen verfrachtet haben. Sie bringen ihn in die Notaufnahme, haben sie gesagt, aber es hat sich angehört, als meinten sie die Leichenhalle. Ich bin noch eine Weile an den abgetretenen Treppenstufen stehen geblieben. Hinter der dicken Tür geht’s zu einem Secondhand-Laden, Öffnungszeiten von vierzehn bis zwanzig Uhr. Wenn der Besitzer kommt, ist hier alles schon wieder sauber, wahrscheinlich wird er gar nicht bemerken, dass vor seinem
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