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Eisprinzessin

Eisprinzessin

Titel: Eisprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Graf-Riemann
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hatte er ja tatsächlich seinen Namen vergessen –, »wollte wissen, ob ich Charlotte vorher gefragt hätte.« Er lachte auf.
    »Ob das Haus verkauft wird?«, fragte Meißner.
    »Ja. Ich könnte doch nicht einfach so ihr Elternhaus verkaufen, jetzt, wo sie verschwunden ist. Wenn sie zurückkäme, wäre es einfach weg.« Er sah Meißner zornig an. »Dazu muss ich aber nicht meine Tochter fragen. Es ist mein Haus. Ich habe es gebaut, ich lebe seit über dreißig Jahren darin, aber alt werden will ich dort nicht. Die Kinder haben ihr Leben, und ich habe meins. Ich hoffe, es bleiben mir noch ein paar gesunde Jahre.«
    »Aber zurück zu Ihrer Tochter, Herr Helmer. Haben Sie gar keine Idee, wo sie sich aufhalten könnte, warum sie weggegangen ist?«
    Helmer rieb sich mit beiden Daumen die Augenlider. Seine Haut war ganz grau, die Tränensäcke traten unter den vom Reiben geröteten Augen hervor. Wie ein Clown, dachte Meißner, der nach seinem letzten Auftritt hinter die Bühne geht und weiß, dass die Menschen ihn bald vergessen haben.
    Er schüttelte den Kopf. »Sie hätte mir jedenfalls nichts Schlimmeres antun können.«
    Das Telefon klingelte, ein Mitarbeiter wartete mit einem Stapel Unterlagen vor Helmers Büro, und Meißner verabschiedete sich und ging zurück zum Empfang.
    »Äh, Frau …?«
    »Zieglmayer. Kann ich noch etwas für Sie tun?« Die Sekretärin stand mit dem Rücken zu Meißner am Drucker.
    »Haben Sie noch immer kein zweites Frühstück bekommen?«
    Nun drehte sie sich doch zu ihm um. »Das mit dem Frühstück war nur eine Ausrede. Eigentlich bin ich immer so. Gibt’s noch was?«
    »Ja, eine Frage hätte ich noch. Wie lange sind Sie schon in der Firma?«
    »Seit dem ersten Juni 1995. Siebzehn Jahre Donau-Kühlung.«
    »Haben Sie Frau Helmer noch gekannt?«
    »Ja, habe ich, wenn auch nur kurz. Sie ist ja noch im selben Jahr verstorben.«
    »Die Tochter, Charlotte, war noch klein, als ihre Mutter starb.«
    »Zehn war sie und regte sich furchtbar auf, wenn jemand sie Lottchen oder Lotte nannte. Das durfte nur ihre Mutter, sonst niemand. Wollte Eiskunstläuferin werden, die Kleine.«
    »Aber daraus ist nichts geworden.«
    »Es heißt, sie ist nach dem Tod ihrer Mutter nie wieder auf den Eisplatz gegangen.«
    »Die Mutter hatte Krebs, nicht?«, fragte Meißner.
    »Das wurde damals nicht an die große Glocke gehängt. Uns Angestellten hat man nicht viel erzählt, auch bei ihrer Beerdigung waren wir nicht. Die Familie wollte das nicht. Es sollte alles im kleinen Kreis stattfinden. Wir haben damals nicht einmal gewusst, dass sie krank war.«
    * * *
    Es war gar nicht schwer gewesen, es zu finden. Auch ins Haus reinzukommen war kein Problem. Gleich hinter dem Fahrradkeller fand Brunner das Abteil mit dem Schloss, zu dem die Schlüssel passten. Kein alter, muffiger Keller wie in dem Haus, in dem er als Kind gewohnt hatte, mit klackenden Drehschaltern, flackerndem Licht und Bretterverschlägen aus rauen Holzlatten, an denen man sich immer Splitter unter die Haut zog, da konnte man noch so gut aufpassen. Hier war alles sauber und modern, das Licht war genauso hell wie im Treppenhaus. Keine handgeschriebenen Mahnungen eines Hausmeisters, der im Falle von Zuwiderhandlungen mit Strafen drohte. Heute waren Hausmeister ja Dienstleister mit festgelegten Befugnissen, die ihre Haftungsbeschränkungen auswendig herunterbeten konnten. Was hatten sie als Kinder Angst vor diesem ewig schlecht gelaunten Blockwart gehabt. Was sich für sie wie Angst anfühlte, nannten die Eltern damals Respekt. Eine Respektsperson war jemand, vor dem die Kinder die Augen senkten und davonliefen.
    Gleich als er den Schlüssel ins Schloss steckte, merkte er, dass er passte. Er öffnete die Tür und staunte. Diese ordentliche Mini-Werkstatt, in der Schraubenzieher und Zangen an einer grauen Speziallochwand aus dem Baumarkt hingen und aller Kleinkram sortiert und sauber in Kisten und Kartons gepackt war, hatte er nicht erwartet. Ein Bild wie aus dem Ikea-Katalog, Kapitel Aufbewahrungselemente.
    Er begann mit der Regalreihe links oben. Schließlich wurde er fürs Suchen bezahlt, nicht fürs Finden. Er durchsuchte Werkzeug-, CD - und Bücherkisten, alte Zeitschriften, aussortierte Kleidung und Schuhe. Wäre ihm nicht einer der Deckel für die Kartons aus der Hand gerutscht und auf den blanken Betonboden gefallen, dann hätte er die blaue Aldi-Tüte vielleicht nie bemerkt, zumindest jedoch nicht so schnell. Zusammengeknüllt lag sie unter dem ersten

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