Eisprinzessin
zur »Havana Bar« in der Kupferstraße. Dort war Fiesta Latina, aber noch waren kaum Gäste da. An der Hauswand Plakate. Ein leicht geöffneter Frauenmund mit prallen, rosa geschminkten Lippen. Eine Hand deckte diesen Mund zur Hälfte ab, in einer Geste, als sei die Frau, zu der Hand und Mund gehörten, erschrocken oder hochgradig erregt. Das Plakat erregte auch ihn, aber noch mehr verwirrte es ihn. Er wollte in dieses Lokal hinein, kam aber am Türsteher nicht vorbei. Der Schwarze war breit wie ein Schrank und bärenstark. Als Eberl ihm sagte, dass er seine Frau suche, war er der Erste, der ihn an diesem Abend ernst nahm.
»Hast du kein Foto von deiner Frau auf dem Handy?«
Eberl fand eines, auf dem Charlotte im Biergarten am Kreuztor saß. Und eines beim Baden an einem der Geisenfelder Weiher. Mit gekreuzten Beinen saß sie auf ihrer Badeliege, blau-weißer Bikini, braun gebrannt, die Haare von der Sonne gebleicht und heller als sonst, ein Stück Wassermelone in der Hand.
»Die ist hier nicht drin«, sagte der Türsteher. »Ganz sicher nicht. Schau mal ins ›Hemingway‹ oder ins ›Amadeus‹.«
Eberl ging in beide Lokale, die um diese Uhrzeit noch halb leer waren. Dann schaute er bei »Sausalitos« in der Theresienstraße rein und in die »Glock’n« am Kreuztor, das außer drei Achtzehnjährigen, die an der holzverkleideten Theke saßen und Weißbier tranken, keine Gäste hatte. Im Irish Pub, auch in der Theresienstraße, bestellte er sich ein Murphy’s Stout, tiefschwarz mit cremefarbenem Schaum. Beim Absetzen des Glases bemerkte er, dass er am rechten Zeigefinger blutete. Als einer der beiden Männer, die an der Theke neben ihm standen, ihn aus Versehen anrempelte, fühlte er sich sofort bedroht und schlug zu.
»Ja, sog amoi, spinnst denn du?«, fuhr ihn der Mann an, den er mit der Faust an der Backe gestreift hatte.
Eberl verstand nicht, was der Mann zu ihm sagte. Es war, als ob er plötzlich taub geworden wäre. Aber er war auf der Hut. Als der andere zurückschlug, drehte Eberl sich im letzten Moment noch zur Seite, und die Faust traf ihn am Jochbein. Es knackte, aber Eberl wusste nicht, ob es sein Knochen war oder die Fingerknöchel seines Gegners.
»Hey, hört’s ihr ned glei auf mit der Schlägerei da? Ja, wo samma denn?«, rief einer der Gäste, dann ging der Freund des Angreifers dazwischen. Die Bedienung mit den langen rotblonden Locken eilte ans Telefon.
Eberl stieß dem Kerl vor ihm den Ellbogen in den Bauch und rannte zur Tür. Er war bereits auf dem Weg zum Auto, als er den ersten Ton der Polizeisirene hörte.
Er irrte umher und erinnerte sich schließlich, dass er den Golf irgendwo unten an der Donau stehen hatte. Seine Taubheit war nun nicht mehr komplett, sondern bekam Lücken, in denen der Verkehrslärm wieder zu ihm durchdrang. Laut und ungnädig, als drehe jemand den Lautstärkeregler einer Stereoanlage aufs Maximum auf und gleich darauf wieder auf stumm.
Beim Ausparken rammte er den Audi vor ihm, aber er hörte kein Krachen oder Klirren. Er schlug sich mit einer Hand gegen das Ohr, damit der Pfropfen sich endlich auflöste. Irgendwie erreichte er den Brückenkopf und gelangte über die Südliche Ringstraße zur Manchinger Straße. Schon fast auf Höhe der Autobahnauffahrt Ingolstadt Süd wurde er von einem entgegenkommenden Fahrzeug geblendet. Er verlor die Kontrolle über den Golf, der Wagen brach aus. Eberl versuchte gegenzulenken, kam aber von der Straße ab. Er krachte durch das Gestrüpp, wurde von Büschen und niedrigen Bäumen gebremst und kam schließlich in einem Feld zum Stehen. Mit dem Gesicht im Airbag vergraben blieb er im Auto sitzen. Er war so müde, so erschöpft, er wollte nur noch schlafen.
Wie lange er im Auto gesessen und geschlafen hatte, wusste er später nicht mehr. Als er erwachte, war es stockdunkel. In unregelmäßigen Abständen sah er die Scheinwerfer der Autos vorbeihuschen, die auf der Manchinger Straße zur Autobahn fuhren oder von dort kamen. Die Wagentür auf seiner Seite war eingedrückt, aber es gelang ihm über die Beifahrerseite auszusteigen. Auf dem brachliegenden Feld humpelte er die Straße entlang stadtauswärts.
Als sich der erste helle Schimmer am Winterhimmel zeigte, erreichte er frierend das Industriegebiet nördlich der Manchinger Straße. Er fand das Gelände der Donau-Kühlung wie ein Schlafwandler. Er war öfter hier gewesen, hatte Charlotte abgeholt, wenn sie an den Samstagen im Büro ausgeholfen hatte. Die Kühlhalle
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