Eisrose
den Mund, denn du beleidigst gerade meine Intelligenz.“
Die Wut, die ihr entgegenschoss, verunsicherte sie mehr, als ihr lieb war. War sie zuvor verärgert und genervt von seinem ständigen Wühlen in dieser leidigen Geschichte gewesen, so fühlte sie sich jetzt beherrscht und in die Enge getrieben. Dies war bisher nur einem gelungen – ihrem Bruder Dominik.
Sie wollte nicht über damals nachdenken und schon gar nicht reden. Jedoch befand sie sich in einem eisernen Griff, dem sie nicht so leicht entkam. Wieso hatte André, der ihr bisher aus der Hand gefressen hatte, mit einem Mal so eine Macht über sie?
Sie wusste die Antwort: Er gehörte zu den ganz wenigen Menschen, die ihr ebenbürtig die Stirn bieten konnten und es bei Bedarf auch taten. Er fuhr auf sie ab, war aber kein willenloser Liebhaber, sondern ein Mann, der genau wusste, was er tat. In jedem einzelnen Augenblick. Ein Umstand, den sie allerdings erst in diesem Moment zu hundert Prozent erfasste.
Der Griff in ihr Haar war fest. Er zog ihren Kopf in den Nacken, ganz nah an ihrem Ohr raunte er: „Es wäre besser für dich, wenn du mich nicht weiter zum Narren hältst. Ich werde die Wahrheit so oder so herausbekommen. Also? Wen schützt du? Erzähl mir die Wahrheit, Valérie. Was ist damals wirklich passiert?“
„Ich … ich weiß es nicht. Wirklich. Ich war in dieser Nacht nicht bei ihr. Ich weiß nur, dass Cathérine Angst vor …“ Sie brach ab.
„Ja?“ Er zog fester an ihrem Haar.
Sie schwieg, schien mit den Gedanken weit weg.
„Ich will jetzt sofort erfahren, was du weißt. Vor wem hatte Cathérine Angst?“ Messerscharf drangen seine Worten zu ihr durch.
Sie sah auf, begegnete seinem Blick, und ihre zurechtgelegten Ausweichmanöver lösten sich in Nichts auf. Klirrend kalte und mächtige Dominanz lag im Ausdruck seiner Augen, so intensiv, dass sie beinahe auf der Stelle vor ihm auf die Knie gesunken wäre. Er nervte sie mit diesem Thema, jedoch fand sie ihn anziehender als je zuvor. Zugleich kroch eine unbändige Furcht in ihr hoch. Sie hatte ihn unterschätzt. Mit dieser Erkenntnis fiel ihr Wolkenschloss krachend in sich zusammen. Denn während sie sich einfach nur begehrt und verehrt gefühlt hatte – von ihm, einem manchmal etwas nervigen Detektiv, der aus Langeweile in der Vergangenheit stocherte – hatte er geradlinig ein bestimmtes Ziel im Visier gehabt. Und wusste ganz genau, wie er vorzugehen hatte.
Derb packte er sie am Handgelenk und zog sie unsanft auf die Beine. Vom Schockmoment getragen ließ sie es zu, dass er sie hinter sich herzog. Erst einige Meter weiter hatte sich ihre Atmung wieder beruhigt, und sie setzte zu einer ihrer gewohnten Schimpftiraden an. „Was fällt dir …“ Weiter kam sie nicht, denn er presste schmerzhaft ihr Handgelenk und zischte: „Ich werde dich jetzt nackt an diesen Baum binden und erst wieder losmachen, wenn du mir sagst, was du weißt.“
„Wage es ja nicht!“
Seine Wangenknochen arbeiteten, als er sie an der Kehle packte und rückwärts an den Stamm eines alten Olivenbaumes drückte. Mit der anderen Hand schob er ihr Kleid hoch.
„Ziehst du es freiwillig aus, oder soll ich es zerreißen?“ Hohn tropfte aus jeder seiner Silben.
„Warte, ich …“
„Ja?“
„Ich weiß, dass Cathérine Angst vor Dominik hatte.“
„Weiter.“
„Mehr weiß ich nicht.“
„War dein Bruder grob zu Cathérine?“
„Nicht mehr oder weniger als du gerade zu mir.“ Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden – erfolglos.
„Du weißt, was ich meine. Hat er sie bedroht? Hat er Machtmissbrauch betrieben? Die Kontrolle als Dom jemals verloren?“
„Nun, er kann sehr jähzornig werden. Ich möchte ihm dann nicht über den Weg laufen.“
„Du würdest ihm also zutrauen, dass er bei einem Wutausbruch die Kontrolle über sich verliert?“
Sie senkte den Blick, nickte.
„Hat dein Bruder dir gegenüber eingestanden, dass er Cathérine schon mal …“
„Nein. Aber ich habe keinen Zweifel, dass dies hin und wieder geschehen ist.“
„Woher kommt dieses Gefühl?“
„Ich las es in seinen Augen. Es stand jedes Mal, wenn er sich über sie ärgerte, deutlich darin geschrieben.“
„Und wieso hast du das damals verschwiegen?“
Sie zuckte die Schultern, senkte den Blick. Dann sprudelte es aus ihr hervor. „Was hätte ich denn sagen sollen? Dass mein Bruder unberechenbar sein kann? Dass seine Wutausbrüche mir und auch anderen manchmal Angst machen? Ihn damit ans Messer liefern,
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