Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Schweiß. Das ganze Bettzeug stinkt schon. Plötzlich die Erleuchtung: Er hat sie reingelegt. Wieso soll Enya Alt das Geld an der Laube ihres Opas hinterlegen? Wieso hat er sie, Zoe, überhaupt mit ins Spiel gebracht? Die Alt hätte doch sonst gar nicht gewusst, wer der Komplize ist. Sie hätte vielleicht geahnt, wer die Fotos geschossen hat. Sie hätte es nicht beweisen können. Durch den Übergabeort der Kohle ist Zoe mit im Spiel. Was hat er sich dabei gedacht?
    Ihre Gedanken pirschen sich in unbekanntes Gebiet. Ein Gebiet, das sie nicht mag. Eigentlich ist ja nur sie im Focus. Carl ist auf den Fotos. Das ist nicht strafbar. Schließlich weiß er ja selber, dass jede der Situationen absolut harmlos war.
    Ist sie nicht die eigentlich Verdächtige?
    Hat er sie extra ins Rampenlicht geschoben? Will er sich im Zweifelsfall hinter ihr verstecken? Wenn alles gut geht, bekommt er sein Geld. Wofür auch immer er es braucht oder will. Wenn die Alt aber auf die Idee kommt, die Polizei oder den Schulleiter zu informieren, hat Zoe ein Problem. Dann wird sie wahrscheinlich hundert Mal sagen können, dass alles Carls Idee war. Dass er sich extra an die Lehrerin rangemacht hat, damit sie die Fotos schießen kann. Dass er sogar die Kamera mitgebracht hat. Beweisen kann sie nichts davon. Carl wird alles abstreiten. Erzählen, dass er die Lehrerin zufällig im Freibad getroffen habe und ebenso zufällig im Biergarten. Dass er sich verknallt habe in die schöne Lehrerin … Sie sei die erste große Liebe seines Lebens gewesen. Und Zoe hat das nicht ertragen können. Vielleicht wird er sogar stockend erzählen, dass Zoe ihm irgendwann ihre Liebe gestanden hat und total gekränkt war, als er sie zurückgewiesen hat. Das sei jetzt alles ein gemeiner Racheakt einer unglücklich verknallten Ziege.
    Und die Alt? Die wird wohl auch kaum erzählen, dass sie die gebotene Distanz zu dem ihr anvertrauten Schüler leider unterschritten habe, eine unangemessene Intimität habe aufkommen lassen. Die wird natürlich auch die absolute Harmlosigkeit der Situationen unterstreichen und sich daran erinnern, dass Zoe in letzter Zeit auffällig oft in ihrem Privatleben aufgekreuzt sei. Zufällig sei sie am Haus vorbeigejoggt. Zufällig sei sie im selben Salsa-Kursus. Jetzt würde ihr natürlich klar, warum die Schülerin das getan habe. Nur, um ihr Vertrauen zu erschleichen. Und dann werden Enya Alt und Carl gemeinsam vermuten, dass Zoe das nur aus Eifersucht gemacht haben kann. Enya Alt wird verstehen, dass Zoe unmäßig in Carl verknallt ist, ihn schon fast belästigt. Warum hat sie sich sonst plötzlich neben ihn gesetzt im Klassenzimmer? Und Enya Alt mit ihrer jugendlichen Schönheit und Frische sei natürlich eine Gefahr für sie gewesen. Sie habe gespürt, dass Carl sich zu der Lehrerin hingezogen gefühlt hat. Carl wird Enya Alt dabei ein ganz klein bisschen devot angucken und ihr sagen, dass sie auch einfach ein heißer Typ sei und Zoe mit ihrer Eifersucht gar nicht so daneben liege. Und Enya Alt wird sich errötend freuen über das billige Kompliment.
    Zoe wird schlecht.
    Alles ist ihr plötzlich klar. Sie ist die Verliererin dieses Spiels. Und ihr fällt nichts, nichts, nichts ein, womit sie die Karten neu verteilen könnte. Sie hat keine Ahnung, welches Blatt sie nun spielen soll.

Ein abgebrochener Augenblick nur
    A uf dem Schulhof steht ein Auto. Ein brauner Opel. Sieht ein bisschen aus wie ein riesiger Hundehaufen. Zoe wundert sich. Alle wundern sich. Selbst der Direktor darf niemals auf dem Schulhof parken. Ein Mal durfte er dort kurz halten. Er hatte ein Bein gebrochen, humpelte auf Krücken in sein Büro, um wichtige Unterlagen zu holen. Seine Frau hatte dem Hausmeister wortreich erklären müssen, warum es wirklich nötig sei, dass sie den Wagen ganz kurz dort abgestellt hatte. Dabei war das sogar außerhalb der Schulzeit gewesen. Aber solche Geschichten gehen innerhalb von Stunden von Schüler zu Schüler. Der Schulhof ist einfach das heilige Terrain des Hausmeisters. Sein Königreich.
    Warum also darf dieser Opel hier stehen? Zoe ist sofort klar: Es ist entweder etwas sehr Wichtiges oder sehr Schlimmes. Und sie befürchtet, dass sie damit zu tun hat. Sie hält sich im Hintergrund. Kauert am Rand. Sie sieht die anderen in Gruppen zusammen stehen. Kaum einer verbirgt seine Neugier, es wird getuschelt.
    Die Türen sind längst geöffnet, kaum einer geht rein. Alle wollen sehen, was es mit dem verbotenen Auto auf sich hat.
    Aus dem