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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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lustig. Eher im Sinn von total daneben. Zoe hat sie geliebt. Viel mehr als ihre eigenen Großeltern. Tante Lisbeth konnte mit bitterernstem Gesicht die abstrusesten Lügengeschichten auftischen und sich hinterher darüber kaputtlachen, dass alle ihr geglaubt haben. Sie ist jeden Sonntag in die Kirche und hat Kerzen für alles und jeden aufgestellt. Sie hat dafür aber nie bezahlt, sondern noch eine (unbezahlte) Kerze für alle Kleinbetrüger aufgestellt. Damit wollte sie der Strafe entgehen. Die zweite Leidenschaft von Tante Lisbeth war Essen. Süßes. Kuchen, Eis, Schokolade. Als Sonja Kessler sie mal bremsen wollte, damals war sie schon jenseits der siebzig, hatte sie nur lapidar geantwortet: »Kleines, nur wegen meiner Figur wird mich eh keiner mehr nehmen.«
    Sie war mit zweiundsiebzig gestorben. In der Kirche. Zoe fand das irgendwie total passend. Tante Lisbeth hatte nicht viel zu vererben. Zoe hatte den Ring bekommen. Laut Lisbeth war der von einem adeligen Verehrer, der sie nicht »freien« durfte, ihr aber dafür diesen Klunker geschenkt habe. Der Ring war aus feinem Gold mit einem roten Stein. Rubin natürlich, wenn man Tante Lisbeth glaubte. Zoe war egal, ob Rubin oder geschliffenes Glas, sie liebt den Ring.

Ungewissheit
    Z oe, bist du eigentlich wahnsinnig?« Ihre Mutter brüllt wie schon lange nicht mehr. Ihre Stimme überschlägt sich vor Zorn. Zögernd geht Zoe die Treppe runter.
    »Wie kannst du Franzi da in der prallen Sonne stehen lassen?«
    Sonja Kessler ist auf hundertachtzig. Zoe guckt ihre Schwester an. Die sitzt mit hochrotem Kopf und schweißnassen Haaren mitten auf dem Rasen.
    »Es tut mir leid«, stottert Zoe und das stimmt auch. Sie ahnt, dass ihre Mutter ihr nicht glaubt. Als ob sie jetzt die Schwester büßen lassen wollte, dass sie jahrelang unter ihr gelitten hat.
    »Ich wollte nur kurz telefonieren und habe sie einfach vergessen.«
    Sie weiß, wie kacke das klingt.
    Wie kochende Kartoffeln, die man auf dem Herd vergisst.
    Gemeinsam mit ihrer Mutter legt sie Franziska auf eine Decke in den Schatten. In dem Sitz des Rollstuhls hat sich eine Pfütze aus Schweiß gebildet.
    »Soll ich für dich tanzen?«, fragt Zoe hoffnungsvoll. Sie möchte es gerne wieder gutmachen. Franzi gibt einen Laut von sich. Vielleicht eine Zustimmung. Zoe holt den CD-Player und die Boxen, stellt sich mitten in die Sonne und tanzt. Wie eine Wilde. Franzi mag es total wild. Nach zwanzig Minuten ist Zoe klitschnass. Die gleißende Sonne, die ratternden Gedanken, die körperliche Anstrengung. Hose und Top kleben schon lange an ihrer Haut, sie glaubt, ihr Blut kocht gleich, aber sie hört nicht auf. Erst als sie ihre Mutter wieder hört, lässt sie sich ins Gras fallen.
    »Meinst du eigentlich es wird besser, wenn du dir jetzt auch noch Hautkrebs holst?«
    Das Wort fasziniert Zoe. Krebs. Genauso fühlt es sich an. Als würden sich grässliche Gedanken wie Fäulnis und Zerstörung – wie Metastasen – durch ihren Kopf fressen. Als würden sie sich teilen, vermehren, immer mehr von ihr in Besitz nehmen.
    Obwohl sie sich völlig fertig fühlt, setzt sie sich aufs Rad. Ihrer Mutter erzählt sie, dass sie gestern ihre Sporthose beim Tanzen liegen gelassen hat und lieber holen will, ehe sie verschwindet. Sie denkt sogar daran, die Hose wirklich in ihre Tasche zu stecken, falls sie nach der Rückkehr überprüft wird.
    Die Fenster stieren immer noch ins Nichts.
    Zoe ist sich sicher: Enya Alt ist nicht da. Oder sie kann sich nicht regen.
    Sie versucht, sich die Situation vorzustellen: Carl wird provoziert, ausgelacht. Dann schlägt er zu. Und dann?
    Sie hat noch nie darüber nachgedacht, sich nie die Frage gestellt, warum auch, aber sie ist überzeugt, dass er auch vor mehr Gewalt nicht Halt macht. Wo er herkommt, darf man wahrscheinlich nicht zögern. Da lernen kleine Kinder, dass sie entweder sehr schnell laufen müssen oder als Erster sehr fest zuschlagen.
    Theoretisch traut sie ihm zu, dass er einfach ein Messer zückt und zusticht. Aber was sollte ihm das bringen? Und ist Carl nicht eigentlich zu rational für unüberlegte Handlungen?
    Wenn er die Lehrerin davon überzeugen will, dass diese Erpressung ernst gemeint ist – was wird er tun? Sie versucht, sich ihn hinein zu versetzen.
    Sie stellt sich die Szene in der Wohnung vor.
    Und plötzlich sieht sie, wie Carl die Lehrerin ins Bad schiebt, hinter ihr abschließt. Das Bad hat kein Fenster. Nur so ein winziges schmales Oberlicht. Sie würde nicht rausklettern

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