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Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Eisseele - Schlieper, B: Eisseele

Titel: Eisseele - Schlieper, B: Eisseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Schlieper
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gemacht. Im Hintergrund ist sie selber zu sehen. Sie sitzt neben Carl auf dem Dach. Sie erschrickt. Sie sieht ein sehr dünnes Mädchen mit einer kaputten Jeans und langen strähnigen Haaren. Sie sieht, wie nahe sie neben Carls Körper sitzt, wie viel Kraft von ihm ausgeht. Ganz klar: So wie sie da sitzen, sind sie ein Paar. Ein Außenseiterpaar.
    Mit dem bunten Bild unten, der Ausgelassenheit, der Freude haben sie nichts zu tun.
    Auf dem Weg nach Hause macht Zoe spontan einen kleinen Umweg durch die Stadt. Sie hat neulich etwas gesehen, das Franzi gefallen wird. Es ist eine Plastikblume, die man an einen Gartenschlauch anschließen kann. Die Blume tanzt völlig unkoordiniert und versprüht dabei das Wasser wie feinen Frühlingsregen. Franziska wird begeistert sein. Immerhin lächelt auch ihre Mutter, als Zoe das schrille Teil im Garten installiert. Nach dem Mittagsschlaf schiebt sie Franzi auf den Rasen, dreht den Hahn auf.
    Franzi quiekt. Sie gluckst und zeigt aufgeregt mit der gesunden Hand auf die Blume. Bis die Blume sich in ihre Richtung dreht und sie einen feinen Schauer abbekommt. Zoe muss die Blume abstellen, die Schwester erst mal wieder beruhigen. Und während sie kleine liebe Worte ausstößt, damit Franzi zu weinen aufhört, sieht sie plötzlich wieder Carl vor sich. Wie er sie heute angemacht hat, weil sie bei der Alt vorbeigegangen ist. Einen Moment lang war seine ganze Ruhe weg. Er war kurz vorm Ausbruch. Das hat sie fast riechen können. Wenn er in dem Moment zugeschlagen hätte, es hätte sie zumindest nicht gewundert. Da war so viel Wut in seinen Augen, so viel Jähzorn, Hass.
    Plötzlich sieht sie es deutlich vor sich: Carl war am Sonntag bei Enya Alt. Er hat die Fotos mit dem Brief nicht eingeworfen, sondern hat ihn persönlich überreichen wollen. Vielleicht hatte er befürchtet, sie würde die Post sonst zu spät finden. Ganz mechanisch streichelt ihre Hand weiter über Franzis Rücken, ihr Kopfkino läuft weiter.
    Sie malt sich aus, wie Enya Alt irritiert die Fotos aus dem Umschlag nimmt. Und anfängt zu lachen. Sie stellt sich vor, wie die Lehrerin einfach nicht glauben will, was sie da sehen soll. Wie sie amüsiert und naiv wie sie ist zu Carl guckt. Ihn einfach nicht ernst nimmt.
    Und für einen Moment sieht sie wieder die Wut, den Jähzorn, den Hass in Carls Augen. Und dann holt er aus. Sie sieht, wie seine Faust in das Gesicht der Lehrerin kracht. Sie sieht Blut spritzen, einen ungläubigen und schmerzverzerrten Blick.
    Zoe weiß es. Carl lässt sich nicht auslachen. Und er hätte keine Skrupel zuzuschlagen. Nicht, wenn er glaubt, dass es richtig ist.
    Wenn Enya Alt die Erpressung vielleicht nicht ernst genommen hat, sie für einen blöden Schülerscherz gehalten hat, wird Carl ihr klar gemacht haben, wie ernst es ihnen – oder ihm – ist.
    Zoe hat einen faulen Geschmack im Mund. Sie lässt Franzi im Garten, geht in ihr Zimmer. Wählt Carls Nummer. Er meldet sich, im Hintergrund sind Freibadgeräusche. Zoe fragt sich, mit wem er wohl da ist und warum er sie nicht gefragt hat, ob sie mitkommen will.
    »Warst du am Sonntag bei der Alt?«, fragt sie direkt.
    »Das weißt du doch.«
    »Ich meine, hast du geklingelt? Warst du in der Wohnung?«
    »Was soll das? Misstraust du mir?« Seine Stimme ist scharf.
    »Ich wollte es nur wissen. Mehr nicht.«
    »Du, Zoe, ich habe für solche komischen Fragen echt keine Zeit.«
    Ehe er auflegt, hört sie noch, wie er gut gelaunt »Warte, Lara, ich komme mit«, ruft.
    Hat er das absichtlich getan, um sie eifersüchtig zu machen?
    Gibt es diese Lara?
    Aber vor allem: Er hat nicht gesagt, dass er nicht geklingelt hat.
    Zoe ist sich sicher. Irgendetwas ist am Sonntagabend passiert. Etwas, das sie nicht geplant hatten. Obwohl: Hatte sie eigentlich irgendetwas geplant?
    Oder war sie nur Assistentin gewesen?
    Hatte sie nicht nur die Türen geöffnet, durch die Carl spazieren wollte?
    Sie legt sich aufs Bett, versucht an irgendetwas anderes zu denken. Aber immer wieder wandern ihre Gedanken zu Carl. Er lässt sie nicht los. Noch nicht mal, wenn er weit weg ist. Immer und immer wieder dreht sie an dem goldenen Ring an ihrem Mittelfinger. Im Märchen darf man sich was wünschen. In der Realität auch. Es geht dann nur nicht in Erfüllung. Sie wüsste, was sie sich wünschte. Weit weg von sich zu sein. Sie trägt nur diesen einen Ring als Schmuckstück. Immer. Er ist von Tante Lisbeth. Die war eine Tante ihres Vaters und immer witzig. Witzig nicht im Sinne von

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