EisTau
dieser Pflichtübung. Journalisten stehen an Bord und an Land keine Sonderrechte zu, diesen Zahn muß man ihnen gleich ziehen. Mein Vorgänger schlug einen strengen Ton an, mir klang es wie die blecherne Parodie einer Zucht-und-Ordnung-Rede, ich verbiß mir ein Lächeln, wandte meinen Kopf ab, als erwartete ich Überraschendes aus Westsüdwest. Du hast mir etwas mitzuteilen? fragte er mich danach. Müssen wir sie wieSchwererziehbare behandeln? Was den Umgang mit der Natur betrifft, halte ich jeden Menschen für schwererziehbar, antwortete der Expeditionsleiter, der jetzt in einem Krankenzimmer in Buenos Aires liegt und wohl seine Yachtzeitschriften studiert, ähnlich aufmerksam, so steht zu vermuten, wie ich die Gesichter der Journalisten, die im Halbkreis um mich herum Platz genommen haben und sich auf meine Einladung hin zunächst einmal reihum vorstellen. Das gibt mir Gelegenheit, die Spreu vom Weizen zu trennen, die Einsichtigen von den Widerborstigen zu unterscheiden. Ich fälle meine Urteile vorschnell, instinktiv. Wie konnte in einer von dem Gedanken der Erbsünde durchtränkten Zivilisation die römische Idee der Unschuldsvermutung Bestand haben? Die burschikose Blondine aus Hamburg wird keinen Ärger verursachen, sie hat ihren Freund mitgebracht, sie ist auf easy working holiday , sie wird alles vermeiden, womit sie unangenehm auffallen könnte. Im Blick des kolumbianischen Kameramanns lauert eine leicht entzündbare Insolenz, der Redakteur hingegen strahlt eine Trägheit aus, er wird sich gewiß nie zu einer Provokation aufraffen. Die Nervosität der aparten jungen Amerikanerin ist greifbar und läßt sie zugleich unnahbar wirken. Ich bin Mary, sagt sie, von Mother Jones , und bitte keine Witze. Ich schaue in die Runde, neugierig wegen ihrer Anspielung, aber der vermeintlich naheliegende Witz ist keinem von uns zugänglich. Ich bin mir sicher, daß der muskulöse Kameramann, der sein gediegenes Lächeln wohl nicht einmal zum Schlafen ablegt, schon beim Verlassen des Vortragsraums über die Planke eines notdürftig zusammengezimmerten Scherzes bei ihr zu landen versuchen wird. Zuletzt an der Reihe ist ein smarter Kerl im Anzug, der sich alsPR-Manager von Dan Quentin einführt und eine beachtliche Pause folgen läßt, wohl in Erwartung bewundernder Blicke, die zu meinem Erstaunen bereitwillig gespendet werden, anscheinend bin ich der einzige, dem dieser Name keine Wertschätzung abverlangt. Für sein Anliegen sei eine gesonderte Besprechung vonnöten, der Kapitän habe mich diesbezüglich gewiß schon instruiert. Der Mann wird offensichtlich dafür bezahlt, sich durch die richtige Wortwahl in eine privilegierte Position zu manövrieren. Nein, antworte ich, der Kapitän und ich hätten noch keine Zeit gehabt, über Dan Quentin zu konferieren, aber ich sei mir sicher, die rechte Zeit dafür werde noch kommen, nun gelte es, sich erst einmal auf einige Grundsätze zu einigen. Für Journalisten gelten bei uns an Bord dieselben Regeln wie für alle anderen Passagiere. Verlassen Sie niemals die mit roten Fahnen markierten Wege, reißen Sie nichts aus, nehmen Sie nichts mit, werfen Sie nichts weg, nicht einmal ein Papierfitzel. Sie müssen unter allen Umständen einen Abstand von fünf Metern zu den Tieren wahren, auch zu den Pinguinen, und seien Sie versichert, die Ausrede, den Pinguinen sei diese Regelung bedauerlicherweise nicht bekannt, haben wir schon mehr als einmal gehört. Wie alle anderen Passagiere dürfen Sie sich höchstens zwei Stunden an Land aufhalten. Versuchen Sie nicht, mehr Zeit herauszuschinden. Und befolgen Sie unsere Anweisungen. Sollten Sie dies nicht tun, werden wir Sie an Land zurücklassen, Sie können dann eine Reportage über Ihre einsame Überwinterung schreiben, die Sie weltberühmt machen wird. Kaum habe ich diese Worte ausgesprochen, zweifele ich daran, daß mein Prozedere jenem meines Vorgängers wirklich überlegen ist. Ich frage nach, ob mich alle verstandenhaben, das ist notwendig – wenn sich Menschen in Zweit- oder Drittsprachen unterhalten, reden sie unter einer verschärften Gefahr des Mißverständnisses. Der Manager von Dan Quentin knabbert an seiner Sonnenbrille, Mary schreibt alles mit, der Redakteur läßt sich den letzten Teil meiner Rede von dem Kameramann im Flüsterton übersetzen (sollte nicht eher der Redakteur des Englischen mächtig sein?). Noch Fragen? Keine, denn draußen treibt die große Ablenkung vorbei. Ach ja, der erste Eisberg, versuche ich mich im
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