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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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sich um, wo ich bleibe, und wenn ich ihn länger warten lasse, erkundigt er sich schon einmal bei Erman, dem Barmann, nach meinen whereabouts . Nach dem Abendessen verdauen wir gemeinsam den Tag. Ich bin sein diskursives GPS, im Kontra zu meiner Position kann er seine eigenen Koordinaten bestimmen. Empfindest du auf den Falklands patriotischen Stolz? Er läßt sich nicht provozieren. Die einzigen schönen Frauen auf dieser gottvergessenen Insel, erwidert er, sind die Thailänderinnen im Souvenirshop. Der Pianist hat seine dreißig Jahre an Bord von Kreuzfahrtschiffen nicht mit Touristerei verschwendet, er hat die lokalen Variationen von Weiblichkeit erkundet, Frauen aus fernen Ländern sind für ihn die letzte Wildnis auf Erden (wenn wir zu zweit sind, gibt er Deftigkeiten zum besten, die Mrs. Morgenthau ein entrüstetes Schnauben entringen würden). Wie alle Connaisseure würdigt er das Seltene, das Ungewöhnliche, das Ausgefallene. Sollte er sich eines Tages zur Ruhe setzen, was ich bezweifle, denn trotz seines täglich auf Falte gebügelten Chauvinismus fürchtet er sich insgeheim vor der englischen Provinz, wird er in seiner Stammkneipe im weltmännischen Tonfall seine philogynen Erfahrungen ausschenken. Übrigens, sage ich, der Strand ist immer noch vermint. Er hebt sein Glas Gin Tonic hoch, dreht mit der Linken den Untersetzer um und stellt das Glas irritierend mittig wieder ab. Er wirkt aufgekratzt, er hält etwas in der Hinterhand, etwas, mit dem er mich zu frotzeln beabsichtigt, er kann es kaum erwarten. Ich schließe die Augen. Es klirrt hinter mir. Stimmen füllen Gläser, Gläser laufen über, Stimmen spülen Gläser aus, tief in meinem Magen regt sich eine säuerliche Welle. Als ich die Augen wieder öffne, lehnt sich der Pianist nach vorn und spricht verschwörerisch:
    – Wenn du wüßtest, was hier alles auf dem Meeresgrund liegt.
    – Gold? rate ich lustlos. Torpedos? Riesenröhrenwürmer?
    – Nein, nichts dergleichen, Schiffe, gewaltige Schiffe. Und jede Menge Landsleute.
    – Wessen Landsleute?
    – Deine.
    Er lehnt sich zurück.
    – Ich vermute, die liegen dort schon länger?
    – Seit dem Ersten Weltkrieg.
    – Kein Interesse, der ist bei uns längst vergessen, uns beschäftigen frischere Leichen.
    Der Pianist nickt, als sei diese Replik so vorhersehbar gewesen wie der nächste Spielzug bei einer klassischen Eröffnung.
    – Sagt dir der Name Admiral Graf von Spee etwas?
    – Nein, nichts, warte, von Spee … von Spee? Als Student habe ich in der Nähe eines Graf-Spee-Platzes gewohnt.
    – Bestimmt derselbe, ein bedeutender Admiral.
    – Trägt er ein »von« oder nicht?
    – Same difference. Auf jeden Fall einer eurer Helden.
    – Worin bestanden seine Heldentaten?
    – Er überquerte zwei Ozeane, dann tauchte er mit seiner Flotte vor Stanley auf, er hatte sich in den Kopf gesetzt, den Kohlenachschub der britischen Armee zu unterbinden, obwohl er wußte, daß er hoffnungslos unterlegen war.
    Die Stimme des Pianisten surrte voran, er könnte die Hände vom Lenker nehmen, bergab ging es, leicht, zielwärts.
    – Stanley war damals hervorragend durch zwei Schlachtkreuzer geschützt, der eine hieß Her Majesty’s Ship INVINCIBLE und der andere Her Majesty’s Ship INFLEXIBLE …
    – Eine faire Geste von euch, den Admiral Graf von Spee so anschaulich zu warnen.
    – Fair, hat aber nichts gefruchtet, der Admiral hat die Warnung ignoriert, er ließ es sich nicht nehmen, in diesen Gewässern unterzugehen, samt zwei Söhnen und zweitausend Mann.
    – Ein kaltes Grab. Und was willst du mir mit dieser Story sagen?
    – Für einen Geologen bist du erstaunlich ungeduldig. Vor der Schlacht lief das Geschwader noch einen chilenischen Hafen an, das hat Zeit gekostet, das Überraschungsmoment ging verloren, aber es mußte sein: der Admiral wollte unbedingt dreihundert Eiserne Kreuze an die Brust seiner Matrosen heften.
    – Vor den Falklands liegen dreihundert Eiserne Kreuze?
    – You’re catching on .
    – Verrückt.
    – Im Gegenteil, durch und durch vernünftig, der umsichtige Admiral sah seinen Untergang voraus und wollte vermeiden, daß seine Mannen undekoriert ertrinken.
    Der Pianist streckt seinen Arm auf der Lehne der karmesinroten Sitzgarnitur aus und blickt mich zufrieden an. Er besitzt ein beachtliches Talent, sein Wohlbehagen zu inszenieren, mit seinen schmatzenden Lippen und einem Zeigefinger, der über den Rand des fast leeren Gin-Tonic-Glases

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