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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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gewünscht. Noch nie haben wir gemeinsam einen Spaziergang auf britischem Hoheitsgebiet unternommen. Bislang legten wir auf den Falklands an, wenn sich die Reise dem Ende zuneigte, Paulina war mit der Bestandsaufnahme beschäftigt, und ich bereitete die Auktion von Memorabilien zugunsten einer Stiftung vor, die Fischern beizubringen versucht, wie sie verhindern können, daß ihre Schleppleinen jährlich Hunderttausende Albatrosse töten. Diesmal haben wir am Nachmittag eine gute Stunde zur freien Verwendung. Sie zieht apfelgrüne Trittchen an sowie eine übergroße Regenjacke. Im Wind wölbt sich die Jacke zu einem Tornadosegel, so daß ich sie am Arm festhalten muß, damit sie mir nicht entfliegt. Wir ziehen los, nur wir beide, in Richtung Gypsy Cove, ich weiß, wo es den aufgeweichten Pfad an der zerzausten Küste entlanggeht, dicht am Wasser, unsere Schrittstimmen scheuchen einen Schwarm Enten auf, Falkland-Dampfschiffenten, verkünde ich im Brustton der Kennerschaft, Paulina deutet lachend auf das Wrack der LADY ELIZABETH.
    – Das da ist eine besonders große Dampfschiffente.
    – Ok, ok, ich habe geschwindelt, es handelt sich in Wirklichkeit um Ruderenten.
    – Das soll ich glauben, Professor, Ruderenten ? , don’t you pull my foot, und dort flattern wohl Segelgänse?
    – Mitnichten, das sind Bläßhühner, ich schwöre, das sind ausgewachsene Bläßhühner.
    Ihre Hände haben sich einen Weg unter Wind- und Regenschutz, unter Wolle und Gore-Tex gebahnt, sie streichen mir über die Brust mit lebensbejahender Kälte.
    – Ich habe von dir gelernt, sagt sie mit wehendem Ernst, daß jene, die viel wissen, am meisten lügen.
    – Können wir uns auf »erfinden« einigen?
    Mein Einspruch erfolgt halbherzig, der Weg biegt ab von der Küste, durch eine Halbstrauchheide mit Hinkelsteinen zur Yorke Bay (einige der Gäste kommen uns entgegen, sie starren uns an, ich kann nur ahnen, mit welchen Hintergedanken). Ein Ranger steht neben einem hölzernen Unterschlupf, als hätte er auf uns gewartet, bereit, uns alles zu erklären. Paulina zeigt auf mich mit bohrendem Finger.
    – Wenn Sie wüßten, was dieser böse Mann …
    Der Ranger drückt seine Lippen zusammen und zieht die Brauen nach oben; ich ersticke die aufkommende Irritation im Keim.
    – Es ist nicht halb so schlimm, wie es sich anhört, wir konnten uns nur nicht einigen, welche Vögel welchen Namen tragen.
    – Sie haben einen wunderbaren Strand hier, den muß man lieben.
    – Ja, es ist der schönste Strand der Stadt.
    – Und auch noch so leer, bei uns wäre er an einem so freundlichen Samstag übersät mit tollenden Kindern und stillgelegten Eltern.
    – Das würde ich keinem raten.
    – Der Strömung wegen?
    – Nicht das Meer, der Strand ist todgefährlich.
    – Wie das?
    – Er ist vermint.
    – Vermint?
    – Antipersonenminen.
    – Das verstehe ich nicht, es sind doch ganz viele Pinguine auf dem Strand.
    – Ihre Frage ist völlig berechtigt, Ma’am, allerdings müssen Sie bedenken, die Minen werden erst durch ein Eigengewicht von zwanzig Kilo losgetreten, das erreicht selbst ein ausgewachsener Magellan-Pinguin nicht, seien Sie unbesorgt, die Tiere haben nichts zu befürchten.
    Paulina hält sich die Hand vor den Mund.
    – Soldaten sind die besten Tierschützer, sage ich.
    – Es waren die Argentinier, präzisiert der Ranger.
    – Wie bei uns, sagt Paulina, es sieht paradiesisch aus, bis es dir um die Ohren fliegt.
    Sie lacht wieder, es ist ein anderes Lachen, ein Lachen, mit dem sie Unangenehmes wegwischt.
    – Sie mögen es hier, die Magellan-Pinguine, sie graben ihre Bruthöhlen in die weiche torfige Erde zwischen den Grasbüscheln in den Dünen.
    – Sie graben Höhlen?
    – Ja, Ma’am, und sie benutzen diese Höhlen über Jahre hinweg, sie paaren sich fürs Leben, sie kennen keine Trennung. Sie wählen ihren Partner sorgfältig und können sich auf diesen völlig verlassen.
    Wir lauschen seinen Erklärungen und den Austernfischern im Hintergrund, wir verabschieden uns, in den blühenden Stechginster hinein, wo ich einen Strauß Hornkraut pflücke, nicht für dich, Paulina, für den Familienaltar in unserer Kabine, für die vielen Großmütter. Auf dem Rückweg halten wir vor einem der Zaunpfähle, an den ein kleines rotes Schild genagelt ist, ausder Nähe erkennbar als Totenkopf über zwei gekreuzten Knochen, überschrieben mit Danger Mines .
    Auf der Theke der Rezeption hat jemand einen Prospekt

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