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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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die es auf die Außendecks hinauszieht, auf die Steuerbordseite, auf die Backbordseite, weil sie etwas zu verpassen fürchten, die jede Aussicht aufsaugen und wieder ins Warme eilen, zum nächsten Vortrag, zum nächsten Film, zum Kaffee oder Tee am Nachmittag. Und jene, die besonders viel bezahlt haben, die Suitengäste, dürfen auf gar keinen Fall enttäuscht werden. Das Reklamieren, sagt Emma von der Rezeption, kannst du von den Reichen lernen. Als Expeditionsleiter bin ich Freiwild für die wißbegierig Unruhigen, der Gang von Deck 3 zum Deck 6 wird zum Fragerutenlauf. Lieber sitze ich an einem der Zweiertische im Bistro, zu meiner Linken das antarktische Meer, auf jedem zweiten Tisch im Raum ein unvollständig gelegtes Puzzle – Postkartenmotive, in 500 Teilchen zerstückelt, damit sie zusammengesetzt werden, das Bild auf dem Deckel vor Augen, und wem diesgelingt, der kann ein anderes, in 1000 oder 1500 Teilchen zerstückeltes Motiv zusammensetzen; man muß sich Puzzleleger als glückliche Menschen vorstellen –, mir gegenüber Mary, die ein Aufnahmegerät mitlaufen läßt und zudem noch Aufzeichnungen mit einem spitzen Bleistift in ein unliniertes Taschenbuch kritzelt, und zu meiner Rechten Paulina, die mit verstohlener Freude die unbeteiligte Kellnerin gibt, sie wiederholt konzentriert meine Bestellung, als hörte sie zum ersten Mal, daß ich den doppelten Espresso mit viel geschäumter Milch zu mir nehme, aber nur Schaum bitte, um den Kaffeegeschmack nicht in Milch zu ertränken, sie preist mir den Marmorkuchen an, den ich verabscheue, worauf Mary aus Solidarität ein Stück von ebendiesem Kuchen bestellt. Wir sind südlich des 60. Breitengrads, erkläre ich, und erst jetzt tatsächlich in der Antarktis, die Schiffe dürfen von nun an kein Schmutzwasser verklappen, was unsere Aufenthaltsdauer in diesen Breitengraden natürlich begrenzt, ein zusätzlicher Vorteil dieser sinnvollen Regelung, immerhin befinden wir uns im einzigen vom Menschen noch nicht verschmutzten Meer, und das soll so bleiben. Nur vier Prozent, sagt Mary, während ich einen Schluck Wasser nehme, das antarktische Meer mache nur vier Prozent der ozeanischen Gesamtfläche aus. Draußen schwebt ein Schwarm von gefleckten Sturmvögeln auf unsichtbaren Luftkissen. Paulina serviert Kaffee und Kuchen, sie demonstriert professionelle Effizienz und versprüht einen Hauch von Nonchalance. Mary liest ihren Namen von dem Schild oberhalb der Brusttasche ab und hängt diesen ihrem Dank an. Paulina würdigt dies mit einem überdosierten Lächeln, bevor sie sich zu mir dreht, anything else, Sir? Worauf ich steif antworte, that will be all, Paulina. Thank you. Was meiner Meinung nach geschehen würde, wenn der Antarktisvertrag nicht existierte, fragt Mary. Es würde eine öffentliche Diskussion über die Nutzung der Antarktis und ein Schachern hinter den Kulissen geben. Lobbyisten würden die Notwendigkeit von Ölbohrungen und Bergbau behaupten, es würde eine Kampagne gegen die Pinguine lanciert werden unter dem Motto: Soll es uns an Rohstoffen mangeln, bloß damit die es gut haben? Die Pinguine würde man nicht mehr im Stehen fotografieren, sondern im Liegen, da sehen sie verschlagen aus und feist, als bettelten sie darum, geschlachtet zu werden. Wir können jederzeit auf den Luxus der Sentimentalität verzichten. Es gibt keine Garantie, daß dies nicht geschehen wird, noch vor der Zeit, trotz des Vertrags, wenn es hart auf hart kommt, wer wird auf freiwillige Verpflichtungen achten, da selbst bindende Verträge wenig gelten. Es müßten ganz viele Menschen Druck machen, um das zu verhindern, unterbricht mich Mary mit einem naiven Enthusiasmus, der wohl- und zugleich weh tut. Mein Gesicht verrät meine Skepsis. Ich möge ihre Bemerkung entschuldigen, ich käme ihr so niedergedrückt vor, vielleicht liege es daran, daß mir die Erfahrung eines gemeinsamen Kampfes fehle, das sei ermutigend, ich möge ihr verzeihen, es stehe ihr nicht zu, so etwas zu sagen. Ich fühle eine Sehnsucht nach Euphorie. Wir reden weiter, über das Eis und die Welt, sie stellt Fragen, die mir Antworten jenseits der vorgefertigten Platitüden abnötigen, und auf einmal höre ich mich zugeben, daß ich manchmal Scham empfinde, auf diesem Schiff zu arbeiten, zumal ich auf dieser Fahrt als Expeditionsleiter mehr Verantwortung trage, die Touristen sollte man umleiten, in einen Themenpark, eine mobile Kapsel Ewigen Eises, überallaufstellbar, vorne geht es rein, hinten ist der Ausgang,

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