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EisTau

EisTau

Titel: EisTau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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allein in der Antarktis, einsam am Ende der Welt, weitab von reguliertem Verkehr, durch den Anblick eines anderen Schiffes zerstört wird.
     
     
    Eigentlich war es allen im Institut klar, daß ich mich nicht einem anderen Forschungsgegenstand (bei diesem Wort assoziiere ich einen eingewachsenenFingernagel) zuwenden würde. Nicht in einem Alter, in dem die Barthaare schon der Pensionierung entgegenwuchern. Die Alpen waren mir nicht mehr erträglich; außerdem, was wäre gewonnen, würde ich andere Gletscher in den Tod begleiten. Unverdrossen weiter Vorlesungen zu halten erschien mir so grotesk, als würde ich Veterinärmediziner unterrichten, die sich auf Dinosaurier spezialisiert haben. Nein, ich mußte Abschied nehmen, es gab keine Alternative. Zwei Kollegen boten mir an, sie in den hohen Kaukasus zu begleiten. Sie wollten nicht, daß ich ausschied, wohl aus dem sentimentalsten aller Gründe, der Gewohnheit. Du kannst für uns im Basislager kochen, scherzten sie. Ich galt als begnadeter Koch, nur weil ich jedes Jahr zum Sommerfest einen großen Topf jamaikanische Fischsuppe mitbrachte. Beim ersten Mal verblüffte ich alle damit, keiner erwartete ein solches Gericht (mit diesem Namen, mit diesen Ingredienzen, mit diesem Geschmack) von einem, dem die Tropen ein Greuel sind, der die Karibik für eine Schwitzgrube hält und Meeresfrüchte im Vorgebirge für schuppenreine Dekadenz. Von dieser Fischsuppe hätte ich nie erfahren, wenn sich nicht ein in England aufgewachsener Jamaikaner in eine Münchnerin verliebt hätte. Sein Auskommen verdiente er als Lehrer an der Volkshochschule, Kurs: Englisch für Fortgeschrittene, wir diskutierten über die Songtexte von Madness, lasen Ausschnitte aus George Mikes »How to be an Alien«, und zum Abschluß des Semesters feierten wir ein Fest in seiner Wohnung, er versammelte uns in seiner Küche, dann lüftete er mit der Verve eines Zirkusdirektors den Deckel eines Topfes vom Durchmesser einer Eiche, heraus schlüpften Gerüche, die Legenden Vorschub leisten könnten,Phantasien von Mittagsstunden auf Booten mit Strohdächern, von Tauchgängen zu Muschelgründen. Im nächsten Jahr wiederholte ich den Kurs, obwohl mein Englisch gut genug war, nicht zuletzt wegen des intensiven Austausches mit den Kollegen von der University of East Anglia und der Jawaharlal Nehru University, um ein zweites Mal in den Genuß dieser Suppe zu gelangen und Aufschluß über das Rezept zu erhalten. Kein Gericht könnte aufwendiger sein als diese jamaikanische Fischsuppe, sie enthält den ganzen Reichtum der Meere, die Zutaten sind schwer zu ergattern (der Viktualienmarkt, Dallmayr und Käfer leisteten mit vereinten Kräften Lieferantendienste), die Zubereitung muß von langer Hand geplant und am Tag vor dem Gelage begonnen werden. Ich freute mich Wochen im voraus auf diesen Tag, ein Tag, der an meine Tür klopfte mit einer rätselhaft tätowierten Hand. Im Kaukasus bin ich als Koch nicht in meinem Element, erwiderte ich den Kollegen, und zudem ertrage ich den Anblick von lebenden Gletschern nicht mehr. Das war eine Lüge, sie wußten es, ich liebte Eis, weiterhin, verändert war jedoch meine Sicht, schaute ich früher auf einen Gletscher, sah ich Geschichte und Wandlung, Fülle und Bestand, jetzt starrten mir Fratzen entgegen, das übriggebliebene Eis war zu einem Spiegel unserer groben Fahrlässigkeit geworden. Egal, auf was ich blickte, es war mir unmöglich, das frühere Einverständnis mit den Dingen wiederherzustellen. Mir schien, als würde ich erst jetzt ihre Essenz wahrnehmen. Hinter Sims und Stuck sah ich nur mehr Gefängnisbauten. In der Fußgängerzone traten mir die Menschen als Schaufensterpuppen entgegen, hin und her geschoben von stochastischen Erschütterungen. So einen wie mich brauchtihr nicht im Team, sagte ich, und keiner widersprach. Das war das Jahr unserer letzten jamaikanischen Fischsuppe.
     
     
    Auf hoher See kann man sich schwer aus dem Weg gehen, die Gänge sind gerade und eng, am besten bleibt man stehen, mit dem Rücken zur Wand, zieht den Bauch ein und setzt ein gespreiztes Lächeln auf, an dem man leicht vorübergleitet. Auf dem Schiff wird jeder schnell geortet. Nach einigen Tagen weiß man, wer wo Wurzeln geschlagen hat, bewaffnet mit einem Feldstecher, an einem ausgesuchten Plätzchen, das ihm die Reise hindurch genügen wird, ein Sessel im Mastkorb der Panorama Lounge etwa, wo man am ehesten Ruhe findet vor den Umtriebigen, die jede Viertelstunde ihre Position wechseln,

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