Eiswind - Gladow, S: Eiswind
ist für ihn auch nicht einfach«, sagte er dann schlicht.
Anna antwortete nicht, sondern füllte aufgeschäumte Milch in zwei Gläser und gab jeweils eine Tasse Espresso hinzu.
»Für uns ist es auch nicht leicht, mit dieser Situation umzugehen!«, fuhr er fort.
Sie sah ihn verständnislos an. »Für euch ist es nicht leicht?«, fragte sie tonlos und schüttelte den Kopf. »Habt ihr auch nur irgendeine Ahnung, wie es dann für mich ist?!«
Georg zuckte hilflos mit den Schultern. »Wir alle können nur erahnen, was du durchgemacht hast«, sagte er beschwichtigend. »Und es tut uns von Herzen leid …« Er verstummte.
Anna stellte die Gläser auf dem Tresen ab. »Ihr habt mich ausgetauscht!«, sagte sie wütend, und in ihren Augen sammelten sich die Tränen. »Ihr habt euch einen Dreck um mich gekümmert!«
»Das ist doch Blödsinn!«, verteidigte Georg sich. »Kein Mensch hat das getan, und du weißt, dass das ungerecht ist, was du da sagst. Du bist die, die sich die ganze Zeit verschanzt hat! Wir haben so oft versucht, dich einzuladen, und du weißt auch, dass du uns immer willkommen bist. Du hast dich verkrochen, nicht wir!«
Sie blickte durch die Terrassenfenster nach draußen auf die Trave und wünschte sich, mit einem der Sportboote davonsegeln zu können, die heute so zahlreich auf dem Wasser waren. Im Innersten wusste sie, dass ihr alter Freund recht hatte.
»Du«, fuhr Georg fort, »hast gesagt, dass du Zeit brauchst, und nachdem wir uns an deiner geschlossenen Tür ein paar Mal die Nase gestoßen hatten, haben wir es für das Beste gehalten, deinen Wunsch zu akzeptieren.«
Anna setzte sich auf einen Hocker und starrte auf ihr Glas. »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll«, sagte sie schließlich.
Er legte seine Hand auf ihre, und die Wärme eines anderen Menschen zu spüren tat ihr gut. Sie blickte zu ihm auf. »Was soll ich nur machen?«, fragte sie verzweifelt, und erneut sammelten sich Tränen in ihren Augen.
»Einfach nur ein- und ausatmen fürs Erste«, riet er ihr sanft. »Einfach nur ein- und ausatmen.«
Als Georg zwei Stunden später das Haus verließ, fühlte sich Anna ein wenig besser. Sie hatten sich für Ende der Woche verabredet. Georg wollte wie in alten Studentenzeiten wieder einmal für Anna kochen und später mit ihr ausgehen. Sabine war mit den Kindern in ihrem gemeinsamen Haus auf Sylt, und so, meinte Georg, wäre es für beide gut, sich ein bisschen Ablenkung zu verschaffen.
Anna verbrachte den Abend in ihrer Küche am Laptop und hielt bei eBay nach antiquarischen Möbeln Ausschau. Zwar wollte sie nicht ernsthaft etwas kaufen, aber es brachte sie immerhin auf andere Gedanken. Dennoch stellte sie nach einer Weile fest, dass sie Kommunikation brauchte, ohne in der Stimmung zu sein, mit jemandem wirklich sprechen zu wollen, der sie kannte und irgendwann unwillkürlich auf ihre private Situation zu sprechen käme.
Im Hintergrund lief im Fernsehen eine Reportage über Bekanntschaften, die im Internet geschlossen worden waren und vor dem Standesamt geendet hatten. Anna war verblüfft, wie viele nette Leute es offensichtlich gab, die über dieses Medium Kontakte knüpften.
Nicht, dass sie selbst auch nur das geringste Interesse daran gehabt hätte, über das Web einen Mann kennenzulernen, aber sie gab ihrer Neugier nach und loggte sich in eines der im Bericht genannten Portale ein.
Anna Lorenz war im Chat.
14. KAPITEL
H auptkommissar Braun saß in seinem Büro und zermarterte sich das Hirn. Es gab nach bisherigen Erkenntnissen keinerlei Verbindung zwischen den beiden Opfern. Dennoch war nach den Ergebnissen der beiden Obduktionen relativ sicher, dass die Frauen von ein und demselben Täter getötet worden waren. Die Tatwaffe war mit hoher Wahrscheinlichkeit identisch. Auch die Anzahl der Stichverletzungen und die Tatsache, dass beiden Opfern die Halsschlagader durchtrennt worden war, sprach dafür.
Der Computer von Sabrina Mertens war ausgewertet worden: Weder aus ihren Mail-Kontakten noch aus der Aufstellung ihrer Telefonverbindungen hatten sich Erkenntnisse ergeben, die auf eine Verbindung der beiden Opfer schließen ließen.
Bendt trat ein und erlöste den Hauptkommissar von seinen Gedanken. »Die Zeugin Seeland ist da«, sagte er.
Braun erhob sich. »Gut«, seufzte er erleichtert. »Hol sie gleich rein.«
Karen Seeland und Anja Maaß waren am Vorabend der Ermordung gemeinsam mit Sabrina Mertens im Cube gewesen und hatten dort gefeiert. Karen Seeland war am
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