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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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Die Presse hatte Kenntnis von dem Vorfall, und er wusste, dass die Reporter sich wie eine Meute hungriger Kojoten auf den Fall stürzen würden.
    Er musste zum Tatort, wohl wissend, dass es außerhalb der Polizeiabgrenzungen nur so von Fernsehwagen
wimmeln würde. Im Geiste sah er schon die Schlagzeilen der nächsten Tage vor sich: Polizei tappt im Dunkeln! , Jack the Ripper in Lübeck! Braun stöhnte unwillkürlich und rieb sich die Augen.
    Nur zweimal ertönte das Freizeichen, dann wurde der Hörer abgenommen. »Braun«, vernahm er die Stimme seiner Frau am anderen Ende.
    »Ich bin es, Gisela«, sagte er. »Es wird leider nichts mit der Oper heute.«
    Es war kurz still am anderen Ende, dann antwortete sie verständnisvoll: »Macht nichts.«
    Wie immer war er verblüfft, wie gut es ihr gelang, seine Stimmungen wahrzunehmen. Er hatte seine Arbeitsbelastung in der Vergangenheit nicht selten als Ausrede benutzt, um Opernabenden, Theateraufführungen oder Besuchen bei ungeliebten Bekannten zu entgehen. Manchmal schien es ihm, als könne Gisela schon am Klingeln hören, ob er log. Wenn dies der Fall war, konnte sie am anderen Ende der Leitung zur Furie werden. Gott hatte wohl Erbarmen, dachte Braun, als er sich entschied, keine Polizeilaufbahn für seine Frau vorzusehen. Sie hätte jede Lüge durchschaut.
    Jetzt jedoch klang ihre Stimme liebevoll warm. Sie wusste, dass er wirklich unabkömmlich war und es nicht ändern konnte.
    »Es gibt einen weiteren Frauenmord – diesmal im Waldhusener Forst«, beantwortete er ihre stille Frage und hörte, wie sie tief durchatmete.
    »Ein Serientäter also?«, fragte sie betroffen.

    »Das wissen wir bis jetzt noch nicht«, gab er zurück. »Das müssen wir erst herausfinden.«
    Braun wusste, dass sie am anderen Ende nickte. »Sag den Mädchen, sie sollen vorsichtig sein«, sagte er dann.
    »Mach ich«, antwortete sie gepresst. »Und pass auf dich auf!«, fügte sie hinzu.

12. KAPITEL
    E r ließ sich erschöpft zurück auf seine Schlafcouch sinken. In seinem Kopf dröhnte es. Müde tastete er nach seiner Brille auf dem Nachtschrank und blickte auf die LED-Anzeige seines Radioweckers. Es war ein Uhr. Er ließ sich auf die Seite rollen, wissend, dass er diese Nacht keinen Schlaf mehr finden würde.
    Die Träume hatten ihn überrollt. Sein Unterbewusstsein hatte die Unachtsamkeit des Schlafs genutzt, um die Dämonen der Nacht heraufzubeschwören.
     
    Der Tag, an dem die Bundesjugendspiele veranstaltet wurden, war neben Heiligabend der schlimmste eines jeden Jahres. Weihnachten war das Fest der Familie, es war IHR Fest, an dem SIE seine Demütigung zelebrierten. Am Tag der Bundesjugendspiele allerdings wurde die Demütigung öffentlich.
    Es gab in diesem Jahr kein Entrinnen für ihn. Er hatte das dritte Jahr in Folge den Spielen fernbleiben und krankmachen wollen, aber es war ihm verwehrt worden. SIE hatten ihm schwerwiegende Konsequenzen angedroht, sollte er sich erneut drücken. SIE hatten ihm angekündigt, seinen Computer zu konfiszieren.
    Es sei gut für ihn, wenn er auch einmal etwas in der Gemeinschaft
unternehme, hatten SIE gesagt, und er hatte keinen anderen Ausweg gesehen, als sich ihnen zu fügen.
    Die Sonne brannte auf den Sportplatz. Er hatte das Kugelstoßen bereits hinter sich gebracht. In den Blicken der Lehrer las er Verachtung, noch bevor er seine letzte Stoßübung beendet hatte. Der Gedanke an den nahenden Weitsprung trieb ihm den kalten Schweiß auf die Stirn.
    Das Publikum klatschte derweil den 100-Meter-Läuferinnen aufmunternd zu. Es ging ein Raunen durch die Menge, als es Torsten Kuhn, einem seiner Mitschüler, beim Hochsprung gelang, 1,80 Meter zu überwinden.
    Trotz allem wusste er, dass er heute die Kraft haben würde, den Wettkampf zu überstehen. Seit drei Wochen, zwei Tagen und vier Stunden gab es für ihn einen Grund zum Atmen.
    Wie immer hatte sie im Englischunterricht zwei Reihen vor ihm gesessen. Er hatte auf ihren makellosen Nacken und den vollen Haarzopf geblickt und ihre Anmut und Schönheit bewundert. Er kannte sie in- und auswendig, konnte jede ihrer Bewegungen voraussehen. Es bestand Magie zwischen ihnen.
    Wenn sie in die Klasse kam, stellte sie grundsätzlich erst mal ihre Tasche auf den Tisch. Dann setzte sie sich, nahm ihre Federtasche und danach ihr Heft heraus und schlug ihr rechtes Bein über. Sie tat es immer auf die gleiche Weise. Genauso, wie sie immer mit der linken Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich, bevor sie sich zu Wort

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