Ekel / Leichensache Kollbeck
aufzuklinken. Doch die Schritte entfernen sich wieder. Steinitz eilt durch den Kellergang bis in das Nebengebäude und verläßt unbemerkt das Haus. Er beruhigt sich bald, fährt nach Cölpin zurück, genießt das Abendessen und entspannt sich am Fernseher.
Vor dem Einschlafen denkt er über alles nach und nimmt sich vor, künftig nur ältere Jungen auszusuchen. Von ihnen ist größerer körperlicher Widerstand zu erwarten. Doch nun befürchtet er auch, daß die Polizei am Tatort seine Fingerabdrücke an den Türklinken und Lichtschaltern finden könnte.
Erst im Mai 1984 sucht er das Neubaugebiet Datzeberg wieder auf. Denn für das geheime Protokoll über den fünften Mord fehlen noch wichtige Daten: Die Nummer des Hauses, in der sich der Tatort befindet und die genaue Schreibweise des komplizierten Namens seines letzten Opfers.
Später entnimmt er einem Kasinogespräch, daß die Polizei über eine ziemlich genaue Beschreibung des Täters verfügen würde. Bis auf die Fahndungsaufrufe in der Tagespresse bemerkt Steinitz nichts von den fieberhaften Ermittlungen der Kriminalpolizei. Die veröffentlichte Personenbeschreibung beunruhigt ihn nicht. Die Informationen darin sind so vage, daß er keineswegs befürchtet, durch sie identifiziert zu werden.
Die Untersuchungsstrategie der MUK fußt im wesentlichen auf zwei Versionen: Weil die spurenkundlichen Befunde eine sexuell motivierte Tötung des Jungen nicht objektivieren konnten, wurde einerseits davon ausgegangen, daß die Tötung aus Wut, Haß oder Überdruß erfolgte. Deshalb wurde im Familien-, Verwandten- und Bekanntenkreis nach möglichen Motiven und Verdächtigen geforscht. Andererseits wurde ein Sexualmotiv nicht außer Acht gelassen. Das wiederum erforderte breit angelegte Recherchen zur Personenbewegung am Tatort und zur Überprüfung von einschlägig Vorbestraften. Ein Straftatenvergleich mit dem noch unaufgeklärten Mord an den Brüdern René und Stefan Kölling aus Oranienburg führte nicht auf die Spur eines Serientäters. Weder die Tatortbedingungen noch die Begehungsweise ließen kriminalistisch bedeutsame Elemente von Gleichartigkeit, im Fachjargon Perseveranz bezeichnet, erkennen.
Wiederum erstreckte sich die Untersuchungsroutine auf die Überprüfung aller im Bezirk stationierten NVA-Einheiten. Und wieder beschränkte sie sich lediglich auf die Wehrpflichtigen.
Der Mord in Neubrandenburg-Datzeberg war wochenlang das Tagesthema eins aller Stadtgespräche. Fassungslosigkeit und Empörung über die Bluttat mobilisierte die Bereitschaft, der Polizei zu helfen. Unzählige Informationen gingen bei der Kriminalpolizei ein.
Doch zu den vielen wichtigen und sachdienlichen Hinweisen gesellten sich auch falsche Verdächtigungen. Die Selbstbezichtigung dreier Männer, die – unabhängig voneinander – in ihrer krankhaften Prahl- und Sensationssucht mit Starrsinn darauf beharrten, den Mord in Datzeberg verübt zu haben, und die deshalb inständig um ihre Verhaftung baten, belastete den Untersuchungsalltag. In jedem Einzelfall waren dazu präzise, oftmals auch zeitaufwendige Ermittlungen erforderlich.
Schließlich mußte auch dieses Verfahren nach einigen Monaten nach § 143 StPO vorläufig eingestellt werden, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte.
Mehrere Wochen lang meidet Feldwebel Steinitz die Stadt Neubrandenburg. Statt dessen kundschaftet er in seiner Freizeit das von Cölpin mit dem Linienbus gut erreichbare Städtchen Strasburg am Nordrand der Uckermark nach Möglichkeiten aus, um den nächsten Mord zu begehen. Er weiß, daß im dortigen Kulturhaus regelmäßig Tanzveranstaltungen stattfinden, die von den Halbwüchsigen der Umgebung gern besucht werden. Doch es wird nicht nur getanzt, sondern auch viel getrunken.
Nun will Steinitz einen Jugendlichen. Dieser soll zum Objekt seiner todbringenden Wollust werden. Um zu verhindern, daß eine körperliche Überlegenheit seines Opfers ihm zu schaffen machen könnte, konzentriert er seine Aufmerksamkeit auf möglichst stark Angetrunkene.
In den Nachtstunden des 3. September 1983 bietet sich eine der gewünschten Gelegenheiten: Ein erheblich alkoholisierter junger Mann verläßt torkelnd und nur mit sich selbst beschäftigt das Kulturhaus. Steinitz folgt ihm unbemerkt bis zu einer Stadtrandsiedlung. Dort verschwindet der Jugendliche in einem der kleinen Einfamilienhäuser. Längst ist Schlafenszeit für die fleißigen Werktätigen. Es herrscht nächtliche Ruhe in der auch tagsüber stillen
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