Ekel / Leichensache Kollbeck
Selbstverständlichkeiten des täglichen Lebens wie äußere Ordnung und Körperpflege, auf die er früher peinlich genau achtete, immer weniger Bedeutung für ihn besitzen. Zu seiner verkommenen Seele gesellt sich nun auch die äußere Verwahrlosung.
Mit dem späten Frühjahr 1984 erwacht auch Steinitz’ mörderische Getriebenheit, sich ein neues Opfer zu suchen. Wie ein ausgehungertes Raubtier auf der Suche nach Beute durchstreift er wieder ruhelos das Stadtgebiet von Neubrandenburg oder die Naherholungsgebiete des Berliner Nordens. Manchmal mischt er sich in das Menschengewühl der großen Berliner Bahnhöfe in der Hoffnung, einen Angetrunkenen aufzuspüren, den er in einen tödlichen Hinterhalt locken kann. Und immer hat er den unauffälligen Beutel bei sich, in dem er die notwendigen Gerätschaften für seine Untaten verstaut hat: Fotoapparat, Notizbuch, Fesselschnüre und Messer.
Aber die unsteten Jagdausflüge enden mit immer größeren Enttäuschungen. Mißerfolg reiht sich an Mißerfolg. Einige Male hat er die Opfer zwar fest in seinen Klauen, doch muß er das tödliche Szenario vorzeitig abbrechen, weil es durch unvorhergesehene Störungen vereitelt wird.
So ist es auch am Nachmittag des 24. Juni 1984, als er sich in der Gegend des Kiessees von Schildow herumtreibt. Ein 11jähriger Junge radelt unbekümmert einen schmalen Trampelpfad zwischen mannshohem Schilf entlang. Er soll sein nächstes Opfer sein. Das Kind gefällt ihm über alle Maßen: „Er ist ein hübscher kleiner Bursche, direkt zum Verlieben!“ Steinitz versperrt ihm den Weg und zwingt ihn zum Absteigen. Mit festem, schmerzhaftem Nackengriff schiebt er das wehrlose Kind vor sich her ins Dickicht. Doch kaum hat er einen geeigneten Platz gefunden, an dem er das Kind töten will, ertönt aus unmittelbarer Nähe ein Stimmengewirr. Steinitz läßt vor Schreck von ihm ab. Noch ehe er einen klaren Gedanken über seine Rückzugsstrategie fassen kann, wird er von einer Schar Kinder umringt, die ihren Spielkameraden suchen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, verwickelt er die Kinder in ein ablenkendes Gespräch. Erst einige Minuten später gelingt es ihm, das Weite zu suchen.
Wieder ist ein mörderisches Vorhaben gescheitert. Steinitz ist höchst unbefriedigt, er muß nun einige Zeit verstreichen lassen, ehe er einen neuen Vorstoß wagen kann. In dieser Zeit denkt er unentwegt an den Jungen von Schildow, macht ihn zum Objekt seiner sadistischen Tagträume.
Doch seine äußere Zurückhaltung hält nur zwei Wochen an.
Am Sonntag, den 8. Juli 1984, treibt ihn die Begierde bereits um 4.30 Uhr aus den Federn. Schon im Morgengrauen begibt er sich an den Ort des letzten mißlungenen Versuches. Sein ganzes Sinnen und Trachten gilt nur einem einzigen Objekt, nämlich dem Jungen, an den er die ganze vergangene Zeit denken mußte. Der Wunsch, dieses Kind wiederzusehen, ist übermächtig. Versteckt im Dickicht beobachtet er den Weg zum Kiessee. Die Erwartung eines langsamen, ungestörten Tötungsaktes produziert dabei eine solche Geduld, daß Steinitz bis zum Nachmittag dort ausharrt. Dann sieht er, wie sich ihm zwei etwa zehnjährige Jungen auf ihren Fahrrädern nähern. Diese Gelegenheit will er sich nicht entgehen lassen. Als die Radler auf seiner Höhe sind, springt er hervor und versperrt drohend den Weg. Sie müssen von den Rädern steigen. Mit je einer Hand packt Steinitz eines der Kinder und versucht, sie mit heftigen Stößen in das dichte Unterholz zu drängen. Dabei fallen die Fahrräder geräuschvoll um. In diesem Moment gelingt es einem der Jungen, sich von Steinitz loszureißen und laut hilfeschreiend fortzulaufen. Nun beginnt auch das andere Kind, aus Leibeskräften nach Hilfe zu rufen. Steinitz ist so irritiert, daß er seinen Griff lockert. Und der Junge entkommt. Augenblicke später vernimmt er das metallene Klappern sich rasch entfernender Fahrräder.
Wieder ist ein Versuch gescheitert. Steinitz ist sehr verärgert. Doch noch stärker ist die Angst, daß die beiden Kinder Hilfe holen könnten. Eine Flucht über den See ist nicht möglich. Er weiß, daß er den Weg zur Siedlung nehmen muß, um aus der Falle zu geraten. Doch es gelingt ihm nicht mehr. Aufgeregte Männerstimmen nähern sich schnell. Steinitz hechtet hinter die dichten Büsche. Augenblicke später packen ihn schmerzhaft kräftige Männerarme und zerren ihn aus seinem Versteck. Ein Entkommen ist unmöglich. Die Angst lähmt ihn. Das Unausweichliche bricht über ihn
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