Ekel / Leichensache Kollbeck
es war klar: ein defekter Fernseher konnte das bürgerliche Seelenleben aus dem Gleichgewicht bringen. Es war kaum zumutbar, ein freies Wochenende ohne die geliebte Flimmerkiste zu verbringen. Ganze Sipp- und Nachbarschaften lümmelten Samstagabends in den Wohnstuben der wenigen Privilegierten, die das elektronische Kleinod nebst Tuner besaßen. Die Straßen waren leergefegt, wenn Chris Howland, der Herzensbrecher Freddy Quinn, die Krimiserien von Durbrigde oder die Klamotten des „Ohnsorg-Theaters“ ihre Aufwartung auf den Bildschirmen hinter der Mauer machten. Als im Jahre 1963 Borussia Dortmund deutscher Fußballmeister wurde, dämpften nur die Häuserwände die millionenfachen Jubelschreie der ostdeutschen Fußballfans, unabhängig davon, ob sie ein Parteiabzeichen trugen oder nicht.
Triglitz, ein schlanker, eitler Blondkopf, kam mit seiner Altklugheit bei seinen Freunden gut an. Der schwerfällige Kraftprotz Asbach und Pfeffenrat, der unsichere Typ mit dem ständigen Dreitagebart, besaßen beachtlichen Respekt vor seiner praktischen Intelligenz. Sein Vorschlag, die Gunst der Stunde zu nutzen, wurde von ihnen gern aufgenommen. Mit geheimnisvollem Getue verbreiteten sie im Milieu der Erfurter Kneipen rings um den Hauptbahnhof, daß sie den Aufbau von Fernsehantennen organisieren könnten, die ein tadelloses „Westbild“ garantierten. An Aufträgen mangelte es ihnen bald nicht mehr. Denn auch Fernsehantennen zählten seinerzeit zu den Raritäten der sozialistischen Planwirtschaft.
Und so montierten sie im Verlaufe der Zeit auf knapp siebzig Erfurter Dächern Antennen, die Ewald Triglitz aus der Werkstatt für sie abzweigte. Dafür forderten sie von den Kunden entsprechend satte Preise. Doch diese Nebeneinnahmen reichten ihnen nicht aus. Immerhin hatte Triglitz sechs Kinder zu ernähren, und Pfeffenrats monatliche Einkünfte als Glasreiniger schmolzen beträchtlich zusammen, wenn er die Alimente für seine beiden Kinder an die Ehefrau überwies. Auch Asbach war ständig knapp bei Kasse. Sein Gehalt als Aushilfsfahrer bei einem Taxiunternehmen ging zum überwiegenden Teil an seine Frau, die sich um die drei Kinder sorgte. Also blieb den Freunden nicht allzuviel, um ihre regelmäßigen Freß- und Sauforgien zu finanzieren.
Ihr Erfindergeist gebar bald eine weitere Idee: Wenn man nämlich Leuten, die sich bereits bester Ost- und Westfernsehbilder erfreuen, kurzerhand die Antennen heimlich durchschneidet, daß es nur so flimmert, dann ließe sich durch unbemerkten Zusammenbau der Schnittstellen mit einigem schauspielerischen Geschick eine gewinnbringende Reparatur am Fernsehgerät vortäuschen. Einfach zu bewerkstelligen, aber höchst wirksam im Effekt. Es kommt also nur darauf an, die Arbeit einzuteilen und geeignete Kunden auszusuchen.
Schon kurze Zeit darauf eilten die ersten Omis in die Werkstatt der PGH „Radio und Fernsehen“, um den vermeintlichen Defekt an ihren Fernsehgeräten beheben zu lassen. Triglitz brauchte nur die Ohren zu spitzen und sich heimlich die Kundenaufträge anzusehen. Noch ehe der offiziell bestellte Mechaniker erschien, war Triglitz schon zu Stelle. Und es bedurfte kaum der Kunst der Überredung, klarzumachen, daß er zwar die Reparatur ohne Auftrag seiner Genossenschaft durchführte, folglich dafür auch keine Rechnung ausfertigen könnte, aber dafür sofort zur Stelle war. Und während er den ehrfurchtsvoll dreinschauenden Omis die Innereien Ihrer Fernsehgeräte präsentierte und in schwülstigem Fachchinesisch den angeblichen Defekt erläuterte, den er nun fachmännisch zu beseitigen gedenke, knüpfte einer seiner Freunde auf dem Dach die Antennen wieder sorgfältig zusammen, während der Dritte die ganze Aktion vor möglichen Störern absicherte. Triglitz brauchte dann nur noch bei passender Gelegenheit den Kundenauftrag zu annullieren. In den feuchtfröhlichen Auswertungen am Abend teilten die drei Freunde das pekuniäre Ergebnis ihres Tagwerks unter sich auf. Wenn auch bis zu diesem Zeitpunkt ihrem kriminellen Tun durchaus etwas Amüsantes anhaftete, so änderte sich die Situation am Abend des 22. Februar 1964, als das Trio wieder in gemütlicher Runde in der Kneipe saß und der 74jährige Leopold Hobeck das Lokal betrat.
Triglitz hatte den alten Mann vor zwei Jahren kennengelernt. Er wußte, daß dieser ziemlich wohlhabend war und nach dem Tode seiner Ehefrau bei den Behörden den Antrag eingereicht hatte, zu Verwandten nach Westdeutschland ziehen zu dürfen. Vielleicht
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